Zum Inhalt springen

Header

Audio
Lukas Bärfuss: «Die Krume Brot»
Aus Kultur-Aktualität vom 18.04.2023. Bild: Keystone / EPA / Alexander Heimann
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 26 Sekunden.
Inhalt

Neuer Roman «Die Krume Brot» Lukas Bärfuss zeigt die hässliche Fratze der Armut

Schwere Kost: In Lukas Bärfuss neuem Roman «Die Krume Brot» wird das Leben einer mittellosen Migrantentochter in der Schweiz zur Höllenfahrt.

Sprachlich elegant, präzis und ergreifend: «Die Krume Brot» ist ein literarischer Wurf. Schon der erste Satz ist ein Paukenschlag: «Niemand weiss, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt.»

Wir sind mittendrin in der bohrenden Frage, die diesen Roman leitet: Woran liegt es, wenn Lebenswege scheitern? An der Abstammung? Am Geburtsort? Oder am eigenen Unvermögen?

Um die Suche nach Antworten geht es dem Büchner-Preis-Träger Lukas Bärfuss in seinem aktuellen Roman, in dem er den Lebensweg seiner fiktiven Figur Adelina nachzeichnet. Sie ist die Tochter italienischer Eltern, die Ende der 1950er-Jahre als billige Arbeitskräfte in die wirtschaftlich prosperierende Schweiz gekommen sind.

Schritt für Schritt Richtung Abgrund

Die Familie lebt in prekären Verhältnissen. Adelina durchläuft die Schule, ohne am Ende lesen und schreiben zu können. Eine Berufslehre geht so nicht. Was bleibt, sind Billiglohnjobs – an der Bartheke oder in der Fabrik.

Es schien etwas faul zu sein, nicht nur in ihrem Leben, es schien etwas nicht in Ordnung zu sein mit der Welt.

Doch das ist erst der Anfang: Adelina unterläuft «ein Fehler, (…) an dem sie an jedem ihrer restlichen Tage zu tragen» hat: Sie verliebt sich in einen Hallodri. Adelina wird schwanger. Der Kindsvater lässt sie sitzen. Ohne Geld für die neugeborene Tochter, für die Wohnungsmiete, den Zahnarzt. Dafür mit Bergen von Schulden.

Vom Schweizer Staat hat die lediglich geduldete Ausländerin keine Hilfe zu erwarten. «Wie lange würde sie das alles ertragen?», heisst es im Roman. «In den Tagen, Wochen und Jahren, die wie eine unendliche Trostlosigkeit vor ihr lagen?»

Lukas Bärfuss auf Ansichten

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: SRF

Lukas Bärfuss exponiert sich als Essayist regelmässig mit pointierten politischen Stellungnahmen. Der Schweizer Autor ist mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Georg-Büchner-Preis 2019. Mehr zum Lesen, Sehen und Hören von Lukas Bärfuss gibt es auf der SRF-Literaturplattform «Ansichten».

Mit der Welt ist etwas faul

Bärfuss’ Sprache ist von derartiger empathischer Tiefe, dass wir Leserinnen und Leser uns einmischen wollen. Man will Adelina etwa zuzurufen, den Vertrag zu einem Kleinkredit mit horrenden Zinsen auf keinen Fall zu unterschreiben. Er wird ihr schreiendes Unglück weiter verschärfen.

Ein Unglück, das der gebürtige Schweizer Lukas Bärfuss unter anderen Vorzeichen selbst erlebt hat. Auch er wuchs in prekären Verhältnissen auf und lebte in jungen Jahren zeitweise in der Gosse. So wie er dies in seinem letzten Buch «Vaters Kiste» schildert.

Im aktuellen Roman entfaltet der Dramatiker sein ganzes erzählerisches Talent. Fein dosiert dreht er Adelinas Abwärtsspirale weiter. Und arbeitet dann jenen Moment heraus, da die junge Frau – dank einer ausnahmsweise glücklichen Fügung – zumindest rudimentär lesen und schreiben lernt.

Bis anhin hatte sie «den Fehler bei sich gesehen». Durch die Lektüre von Zeitungsartikeln überwindet sie ihre Sprachlosigkeit und Isolation. Sie erkennt, dass sie kein Einzelfall ist: «Es schien etwas faul zu sein, nicht nur in ihrem Leben, es schien etwas nicht in Ordnung zu sein mit der Welt.» Adelina als «Typenschicksal, (…) geformt und gefertigt von der Industriegesellschaft».

Wöchentlich frischer Lesestoff im Literatur-Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Der Literatur-Newsletter bietet die perfekte Inspiration für das nächste Buch. Ausserdem wird jede Woche eine Schweizer Schriftstellerin oder ein Schweizer Schriftsteller in den Fokus gerückt. Newsletter jetzt abonnieren.

Adelina und wir

Das individuelle Leiden der Migrantentochter erweist sich als universelle Chiffre für Ungerechtigkeiten rund um den Globus. Für die Ausbeutung des globalen Südens etwa, die dazu beiträgt, dass Zahllose die Flucht Richtung Norden antreten, um – wie es der Titel des Romans sagt – eine «Krume Brot» zu ergattern.

Lukas Bärfuss gibt in seinem Roman keine Antworten. Aber er stellt Fragen zur Armut, die Biografien zerstört. Und zu den Mechanismen und sozialen Verwerfungen der modernen Welt. «Die Krume Brot» ist ein Buch, das uns etwas angeht.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Lukas Bärfuss: «Die Krume Brot». Rowohlt 2023. Das von der Schauspielerin Sandra Hüller gelesene Hörbuch erscheint bei Argon.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 18.04.2023, 07:52 Uhr.

Meistgelesene Artikel