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Roman über die DDR Grossvater, der Spion

«Die Unscheinbaren» erzählt vom Sohn zweier West-Spione. Der Autor Dirk Brauns ist selbst Enkel eines Agenten.

Ost-Berlin, 1965: Die Stasi verhaftet in Berlin-Blankenburg das Ehepaar Schmidt. Die beiden sind verpfiffen worden. Sie haben über Jahre Staatsgeheimnisse an den Westen verraten – und wandern ins Gefängnis.

Zurück bleibt der 18-jährige Sohn der Familie: Martin Schmidt. Er ist auf sich allein gestellt und tief traumatisiert: «Es ist der Fluch seines Lebens, und er wird jetzt losrennen müssen, um damit fertigzuwerden», heisst es in Dirk Brauns aufwühlendem neuen Roman «Die Unscheinbaren».

Ein Mann geht vor einem DDR-Plattenbau eine Strasse entlang. Am Strassenrand steht ein Trabant.
Legende: Eine Verhaftung in der Familie stellt das Leben auf den Kopf: So wie seiner Romanfigur ist es auch Dirk Brauns ergangen. Keystone / AP Photo / Matthias Rietschel

Fiktion auf realer Grundlage

Die Verhaftung der Eltern und das Trauma, das der Sohn dabei erleidet, bilden den Ausgangspunkt der Romanhandlung. Sie ist frei erfunden.

Allerdings finden sich darin auch Anklänge an Dirk Brauns eigene Biografie. Der Schriftsteller lebt heute in der Nähe von München. Geboren wurde er 1968 in Ost-Berlin, und er wuchs in der DDR auf.

Die grösste Parallele zum Roman: Dirk Brauns Grossvater spionierte für den westdeutschen Nachrichtendienst. Und er flog 1965 auf – wie Martin Schmidts Eltern im Roman.

Die Prägung durch die Vorfahren

Dirk Brauns erlebte die Enttarnung seines Grossvaters selbst nicht. Das geschah drei Jahre vor seiner Geburt. Das Tun der Grosseltern habe jedoch seine Kindheit und Jugend in der sozialistischen DDR stark geprägt, sagt Dirk Brauns im Interview mit SRF.

Immer wieder sei der Spionagefall in seiner Familie Thema gewesen. Er habe Fragen aufgeworfen, auf die er, der Enkel, keine Antworten fand, etwa: Was war eigentlich Grossvaters Motiv?

Wer hat die Eltern verraten?

Auf der Grundlage dieser persönlichen Erfahrung entwickelt Dirk Brauns die fiktive Handlung seines Romans. Sie enthält zum einen viele Ingredienzen des Spionagethrillers: konspirative Agententreffen, tote Briefkästen, Nachrichten übermitteln per unsichtbarer Tinte.

Zum anderen ist das Werk aber weit mehr, nämlich eine feinfühlige Studie über das Innenleben des Hauptprotagonisten Martin Schmidt. Die traumatische Erinnerung an die Verhaftung der Eltern lässt ihn nicht los.

Auch 50 Jahre später quälen die Geister der Vergangenheit den mittlerweile knapp 70-jährigen Martin Schmidt noch immer: «Man ist machtlos…. Weggesperrte Dinge, für tot erklärte Dinge kehren zurück».

Schmidt will der Wahrheit auf den Grund gehen – und vor allem die Antwort auf die zentrale Frage finden: Wer hat die Eltern damals an die Stasi verraten?

Die Suche nach der Wahrheit

Er stellt Nachforschungen an, spricht mit Zeitzeugen, steigt in historische Archive, trifft auf die alte Jugendliebe, befragt immer wieder die eigene Erinnerung. Die Suche nach der Wahrheit schildert Dirk Brauns sprachlich gekonnt mit feinsinnigem Gespür für das Atmosphärische.

Buchhinweis

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Dirk Brauns «Die Unscheinbaren». Galiani, 2019.

Gelegentlich wirkt der Roman etwas überkonstruiert: Etwas gar oft scheint der Zufall eingreifen zu müssen, um die Handlung in die gewollte Richtung zu schubsen. Der Spannung des Romans tut dies jedoch kaum Abbruch.

Und am Ende? Am Ende gelingt es Martin Schmidt tatsächlich, die Wahrheit ans Licht zu befördern. Es ist eine Wahrheit, welche die menschliche Erbärmlichkeit sichtbar macht und gerade dadurch verstörend wirkt – auf den Protagonisten und auf uns Leserinnen und Leser.

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