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Roman über Exil in der Schweiz Lotte Schwarz: Vom Dienstmädchen zur scharfsinnigen Autorin

Die Hamburgerin Lotte Schwarz musste 1934 nach Zürich emigrieren. Als aufmerksame Zeitzeugin wurde sie eine wichtige Figur in der Exilgemeinde.

Als der Krieg zu Ende ging, bekam Lotte Schwarz in Zürich ihr erstes Kind. Den Kollegen vom Schweizerischen Sozialarchiv schrieb sie: «Seit 2 Tagen habe ich nun einen Sohn. Er ist nicht sonderlich schön und gleicht eher einem schlecht gelaunten Murmeltier als einem Menschen.»

Sobald sie konnte, war sie zurück bei der Arbeit. Für die Flüchtlinge, die im Sozialarchiv eine temporäre Heimat fanden, war sie weit mehr als nur eine Bibliothekarin. Sie half mit Rat und Tat.

Und jetzt, nach dem Krieg, wo das Ausmass der Nazi-Verbrechen offen lag, hörte sie oft einfach nur zu, «in Scham über das Ungeheuerliche».

Von der Armut in die Aktion

Lotte Schwarz wurde 1910 als Charlotte Benett in der Nähe von Hamburg in eine linke Arbeiterfamilie geboren. Bittere Armut zwang sie, als Dienstmädchen zu arbeiten.

Lotte Schwarz
Legende: Lotte Schwarz im Alter von 24 Jahren. Aus der Publikation «Jetzt kommen andere Zeiten», Chronos Verlag

An eine Ausbildung war nicht zu denken. Die Zustände waren unbeschreiblich. Sie kämpfte dagegen an – so, wie sie in der Schweiz später für Frauenrechte kämpfte.

Die grosse 1.-Mai-Demonstration 1930 in Hamburg beeindruckte sie derart, dass sie tags darauf Mitglied der kommunistischen Partei wurde. Typisch für sie: Ins Aufnahmeformular schrieb sie unter «Geworben durch wen?»: «Durch mich selbst.»

Als Kommunistin denunziert

Die Kreise, in denen sie nun verkehrte, boten auch Zugang zu Bildung mit Kursen und Lesegruppen. So bekam Lotte Schwarz als Autodidaktin Arbeit in einer Hamburger Bibliothek.

Später schloss sie sich den «Roten Kämpfern» an, einer kleinen sozialistisch-antistalinistischen Gruppierung, die bald gnadenlos verfolgt wurde. 1934 wurde Lotte Schwarz von einem Arbeitskollegen als Kommunistin denunziert und fristlos entlassen. Die ganze Familie war nun arbeitslos.

Buchhinweis

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Lotte Schwarz. «Die Brille des Nissim Nachtgeist». Roman. Die Emigrantenpension Comi in Zürich 1921–1942. Limmat Verlag 2018.

Lotte Schwarz’ Romanerstling wurde erst 2018 veröffentlicht. Er handelt von der Emigrantenpension Comi an der Zürcher Ekkehardstrasse – eine Arche Noah für die Verfolgten. Die Besitzer, ein russisch-jüdisches Ehepaar, halfen, wo sie konnten. Als Nichtjüdin hatte es Lotte Schwarz anfangs schwer unter den mehrheitlich jüdischen Gästen. Doch bald schloss die «deutsche Bohnenstange» tiefe Freundschaften. Ihr Roman, an dem sie bis kurz vor ihrem frühen Krebstod 1971 arbeitete, ist ein einzigartiges Zeugnis der Bedingungen des Exils.

Ein Freund vermittelte Lotte Schwarz den Kontakt zur Zürcher Emigrantenpension Comi. Dort bekam sie eine Stelle als Zimmermädchen. In ihrem kürzlich wiederentdeckten Roman «Die Brille des Nissim Nachtgeist» setzte sie den Besitzern und Gästen der Pension ein schillerndes Denkmal.

Stimmung gegen Flüchtlinge

Das Exil traf Lotte Schwarz schwer. Zwar hatte sie durch eine Scheinehe Arbeitserlaubnis und fand eine Stelle im Sozialarchiv, als die Pension Comi 1942 schloss. Aber die Stimmung gegen Flüchtlinge war aufgeheizt.

Lotte Schwarz
Legende: Lotte Spengler 1942 bei ihrer Arbeit als Bibliothekarin. Aus der Publikation «Jetzt kommen andere Zeiten», Chronos Verlag

So fand man als Mann, der mit einer Heirat helfen wollte, schon mal anonyme Drohungen im Briefkasten: «Sie sind zum 2. Mal davor gewarnt, die Judensau zur Stadtbürgerin zu machen».

Lotte Schwarz’ Bruder Hans, auch er Mitglied der Roten Kämpfer, kam in ein KZ. Später wurde er an die Ostfront deportiert und blieb dort verschollen. Es gab verzweifelte Versuche, Freunden und Genossen zur Flucht aus Deutschland zu verhelfen. Gleichzeitig tobten innerkommunistische Auseinandersetzungen und in Moskau hatten die Schauprozesse begonnen.

Mit Texten die Erinnerung wachhalten

Als der Krieg vorbei war, erhielten in der Schweiz die wenigsten Flüchtlinge Dauerasyl. Aber auch die sogenannte Weiterwanderung wurde oft behindert. Noch bis 1951 gab es etwa 900 «fremdenpolizeilich Internierte» in der Schweiz.

Lotte Schwarz störte sich auch am Umgang mit dem Geschehenen, den ersten Bewegungen des Verdrängens und Vergessens. «Du hattest es gut, du konntest ins Ausland», hielt man ihr bei ihrem ersten Besuch 1950 in Deutschland vor und verbot ihr fast den Mund.

«Die Spuren verlieren», schrieb sie darauf, «heisst immer auch, nichts vom Schicksal der Verschwundenen zu wissen.» Sie bewahrte das Wissen in ihren hellsichtigen Texten.

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Christiane Uhlig. «Jetzt kommen andere Zeiten». Lotte Schwarz (1910-1971). Dienstmädchen, Emigrantin, Schriftstellerin. Chronos Verlag 2012.

Die Historikerin Christiane Uhlig arbeitete für die Bergier-Kommission. Sie entdeckte das Manuskript «Die Brille des Nissim Nachtgeist» zufällig und veröffentlichte eine Biografie über die vergessene Schriftstellerin Lotte Schwarz. Sie recherchierte in etlichen Archiven, führte Gespräche mit Protagonisten und schildert so ein Stück Emigrantengeschichte in der Schweiz.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Extra, 10.4.2020, 11:03 Uhr

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