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«Mit der Faust in die Welt schlagen» von Lukas Rietzschel
Aus 52 beste Bücher vom 25.11.2018. Bild: Gerald von Foris
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Roman über rechte Szene «Untergegangene, traurige Scheisse»

Der ostdeutsche Jungautor Lukas Rietzschel ergründet in seinem Debütroman «Mit der Faust in die Welt schlagen» den Nährboden rechter Gewalt.

Dieser Roman tut weh. Besonders, wenn man Sätze lesen muss wie diese: «Dumme Menschen und Ausländer pflanzen sich schneller fort als normale und überhaupt Deutsche.» Oder: «Wöchentlich landeten die Untermenschen am Strand von Sizilien.»

Diese Äusserungen geben das Gedankengut von jungen Männern der Neonazi-Szene in Sachsen wieder, die Lukas Rietzschel in seinem Roman zum Thema macht. Er erzählt von jenen Kreisen, die zum letzten Mal im vergangenen Sommer in Chemnitz mit fremdenfeindlichen Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen schockiert haben.

Gewalt in Sachsen

Sachsen hat nicht erst seit Chemnitz ein Problem mit Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit. Noch in Erinnerung sind etwa die rassistischen Übergriffe in Hoyerswerda, wo 1991 Wohnheime von Ausländern in Flammen aufgingen. Andere Übergriffe folgten.

Seit der letzten Bundestagswahl ist in Sachsen die Partei der Rechtspopulisten mit rechtsextremen Tendenzen am stärksten: die AfD. In Sachsen gründete sich die islamfeindliche Pegida-Bewegung.

Der 1994 geborene Autor Lukas Rietzschel sucht in seinem Romanerstling nach den Gründen, dass junge Menschen in den Sog des Rechtsextremismus geraten. Der Autor weiss, wovon er spricht: Er ist selbst in der Region Oberlausitz aufgewachsen, in der sächsischen Provinz ganz im Osten des Landes.

Atemloses Staccato

Rietzschels Sprache kennt keine Schnörkel. Sie ist ein Staccato von Hauptsätzen. Sie kommen oft ohne Verb aus. Die Schilderung wirkt atemlos, wenn er von seinen beiden Hauptprotagonisten erzählt, den beiden Brüdern Philipp und Tobias.

Demonstranten in Sachsen. Sie tragen deutsche Fahnen.
Legende: Rietzschels Buch ist Fiktion und doch Realität: Rechte Demonstranten nach der Messerstecherei in Sachsen (27.08.2018). Keystone / Jan Woitas

Er begleitet die beiden während 15 Jahren, von 2000 bis 2015. Mit grosser Glaubwürdigkeit schildert er, wie die beiden Jungen in einem Dorf in der sächsischen Provinz aufwachsen. Die Eltern glauben nach der Wende zunächst an die «blühenden Landschaften», die ihnen die Politik verspricht.

«Untergegangene, traurige Scheisse»

Eindringlich zeigt der Roman, wie sich die Versprechen mehr und mehr als Mär erweisen: Wie im Kaff die alte DDR-Fabrik schliesst, dann die Bäckerei, die Apotheke, die Schule. Einzig ein Autohaus wird neu eröffnet. Wer kann, wandert ab.

Buchhinweis

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Lukas Rietzschel: «Mit der Faust in die Welt schlagen.» Ullstein, 2018.

Die Arbeitslosigkeit explodiert. Sie ist heute in der Oberlausitz bei über sieben Prozent. Doppelt so hoch wie der deutsche Durchschnitt. Die Menschen verfallen in Depression: «Dieses ganze eingefallene, verlassen Zeug. Untergegangene, traurige Scheisse. Kein Mensch auf der Strasse. Abriss und Leerstand.»

Die Leere

Alles geht kaputt – am meisten die Wirtschaft und mit ihr die Hoffnung auf eine Zukunft. Die Familie der Brüder zerfällt. Das zu Beginn des Romans bezogene neue Haus am Dorfrand lässt sich nicht mehr halten.

In Philipp und Tobias wächst die Ohnmacht. Und die Perspektivlosigkeit. Die Wut und der Hass. Worauf eigentlich?

Irgendwie auf alles: auf die Politik, den Westen, die EU, die sorbische Minderheit in der Region. Und dann vor allem auf die Flüchtlinge, die im Sommer 2015 zu Tausenden in Deutschland ankommen.

Die Nazis als Ausweg

Die örtliche Naziclique bietet Heimat. Gemeinsames Herumhängen. Gemeinsam Besäufnisse. Gemeinsames Schimpfen. Hakenkreuz-Schmierereien.

Ein Gruppe von rechtsextremen Demonstranten mit roten T-Shirts.
Legende: Woher kommt die Wut? Eine Frage, die Lukas Rietzschel in seinem Debütroman behandelt. (Bild: Demo in Chemnitz, 1.5.2018) Reuters / Matthias Rietschel

Dann trennen sich die Wege der Brüder. Der Ältere, Philipp, schafft im letzten Moment den Ausstieg. Er will es trotz allem als Berufsmann versuchen.

Dem Jüngeren, Tobias, fehlt hierfür die Kraft und wohl auch die nötige Reife. Auf die empfundene Leere lässt sich nur mit Gewalt antworten. So glaubt er: dreinschlagen – mit der Faust «in die Welt».

Ein Roman, der von der Realität erzählt

Lukas Rietzschels Roman liest sich mit wachsendem Entsetzen. Junge Menschen geraten in den Strudel des Verhängnisses. Und niemand greift ein. Wer könnte dies denn überhaupt? Und wie?

Klar: Der Roman ist Fiktion. Aber er erzählt von der Realität – in der Oberlausitz, in Sachsen, in anderen deutschen Bundesländern und auch anderswo. Und das ist es, was dieses Buch so dringlich macht.

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