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Roman von Christian Kracht Ein Roadtrip durch die Schweiz führt in die Irre

Christian Krachts Romanfigur ist auf der Flucht vor den Geistern der Vergangenheit. Diesmal im Taxi durch die Schweiz. Mit dabei die alkoholsüchtige Mutter.

«Also, ich musste wieder auf ein paar Tage nach Zürich.» Mit diesem Satz beginnt Christian Krachts neuer Roman «Eurotrash». Er knüpft da an, wo sein vielbeachtetes Debut «Faserland» vor 26 Jahren aufgehört hat.

Auch «Eurotrash» ist ein Roadtrip. Doch hier reist nicht ein junger, dauerbetrunkener Mann aus reichem Haus quer durch Deutschland. Diesmal ist es ein älterer und gereifter Erzähler. Und er fährt nicht allein, sondern mit seiner betagten Mutter im Taxi quer durch die Schweiz. Und dauerbetrunken ist diesmal nicht der Erzähler, sondern die Mutter.

Kot und Geld in Plastiktüten

Die surreale Reise beginnt damit, dass die beiden bei einer Bank an der Züricher Bahnhofstrasse haltmachen und dort 600’000 Franken abheben. Das Geld stecken sie in eine Plastiktüte, zusammen mit der Wodkaflasche der Mutter.

Apropos Plastiktüten. In einer Plastiktüte wurde die Asche des Vaters in der Elbe beigesetzt. Und eine Plastiktüte trägt auch die Mutter unter ihrem gelben Kostüm. Sie ist voller Kot, denn die alkohol-, sowie tablettensüchtige Mutter hat einen künstlichen Darmausgang. Auch das Geld – aus Aktien von Waffentechnologien – ist schmutzig. Beides will entsorgt werden.

Horrortrip in die Familiengeschichte

Es geht in «Eurotrash» um das, was sich im Innern des Erzählers abspielt – um seine Erinnerungen aus der Vergangenheit, die ihn verfolgen. Mit seiner Mutter erinnert sich der Erzähler an seine Kindheit. Mit ihr fährt er dorthin wo er aufgewachsen ist, nach Gstaad im Berner Oberland. Dort, wo er Heimatgefühle entwickelt hat.

Da kommt Dunkles zutage: Der Zerfall einer reichen Familie, der sich am verwüsteten Gesicht der Mutter zeigt: «Die Talfahrt dieser Familie als Landkarte ihres Gesichts», schreibt Kracht. Dann die Nazi-Vergangenheit des Grossvaters mütterlicherseits. Darüber konnte man in der Familie nicht reden, auch nicht über Vergewaltigung und Missbrauch. Sowohl die Mutter als auch der Erzähler wurden in der Kindheit missbraucht.

In der Familie wurde alles totgeschwiegen. Oder, wie es Kracht beschreibt: «Runtergeschluckt und verborgen und geheim gehalten, ein ganzes totes, blindes, grausames Jahrhundert lang.»

Literarisches Vexierspiel

Christian Kracht erweist sich in «Eurotrash» einmal mehr als gewiefter Fabulierer. Er mischt Erfundenes und Reales und führt Lesende immer wieder in die Irre.
Wer ist die Figur? Was hat sie mit dem Autor zu tun? Oder eben nicht?

Im Buch gibt es offensichtliche Bezüge zu Christian Krachts Leben. So ist der Vater im Roman, wie Krachts Vater, im Verlagshaus Axel Springer tätig. Christian Kracht spielt mit seiner Biografie und verwandelt sie in Autofiktion.

«Es war eine sehr schöne Reise mit dir»

Christian Krachts Roman berührt durch die Art, wie sein Erzähler nach einer Antwort sucht. Mit den Verletzungen und Leerstellen in seiner Biographie umzugehen und dabei eben nicht so zu enden, wie die Figur der Mutter: alkoholsüchtig und psychisch krank.

Dabei hat «Eurotrash» auch eine versöhnliche Komponente. Sie zeigt sich darin, wie fürsorglich der Erzähler auf der Reise mit der Mutter umgeht und ihr zum Schluss, als er sie in die Klinik zurückbringt, sagt: «Es war eine sehr schöne Reise mit dir.»

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 4.3.2021, 17:20 Uhr

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