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Roman von David Mitchell Ein Geisterhaus, das Seelen verschluckt

In David Mitchells Fantasy-Thriller «Slade House» lockt ein Zwillingspaar Menschen ins Verderben. Der Gru­sel entpuppt sich als aufgeblasener Budenzauber.

Da ist ein Haus, das nur alle neun Jahre in einer dunklen, engen Gasse erscheint. Menschen, die man hört aber nicht sieht. Geister, die jede beliebige Gestalt annehmen können.

Nichts ist neu an dem Grusel-Inventar, das David Mitchell in seinem Fantasy-Thriller «Slade House» auffährt, in dem ein Zwillingspaar die Unsterblichkeit entdeckt hat. Sie müssen sich alle neun Jahre eine lebendige Seele einverleiben. Deshalb locken die beiden «Seelenvampire» jeweils ein nichtsahnendes Opfer in die Slade Alley in ein aus dem Nichts hervorgegaukelten Geisterhaus.

Leichtgewichtiger Roman

David Mitchell war für seinen Roman «Wolkenatlas» auch schon für den Booker Prize nominiert. Er hat sich bisher kaum mit weniger als 600 Seiten zufriedengegeben. Mit seinen knapp 240 Seiten ist «Slade House» demnach schon vom Umfang her ein Leichtgewicht.

Audio
«Slade House» von David Mitchell
aus Kontext vom 30.05.2018. Bild: imago / Imagebroker
abspielen. Laufzeit 13 Minuten 41 Sekunden.

Alles begann im Jahr 2014 auf Twitter: In über 280 Tweets wurde damals eine Kurzgeschichte veröffentlicht – ein Marketing-Gag von Mitchells britischem Verlag für seinen soeben erschienenen Roman «Die Knochenuhr».

Aufgeblasene Kurzgeschichte

Das Twitter-Event hat Mitchell nun auf die denkbar einfachste Weise zu einem Roman aufgeblasen. Er fügte der Kurzgeschichte vier weitgehend baugleichen Sequels hinzu: Alle neun Jahre, zwischen 1979 und 2015, gerät jemand in das Geisterhaus in der Slade Alley, wo das Schicksal seinen Lauf nimmt.

Erst im letzten Kapitel wird dieser enge Erzählrahmen gesprengt, und zwar durch Marinus – ein Wiedergänger aus früheren Romanen von Mitchell, der hier in Frauengestalt erscheint.

Nicht eingelöster literarischer Anspruch

«Slade House» ist durchwoben mit solchen Anspielungen, auf Mitchells eigene Werke ebenso wie auf Klassiker der Fantasy-Literatur. Der Autor signalisiert damit einen literarischen Anspruch, den der Thriller allerdings nicht einlöst.

Denn bei ihrem Parcours durch das jedes Mal etwas anders drapierte Geisterhaus haben die Figuren kaum Gelegenheit, sich zu entfalten. Dabei ist die Anlage oft vielversprechend: Warum klaut der 13-jährige Junge, der seine Mutter zu einer musikalischen Soirée ins Slade House begleiten muss, dieser Mutter Valiumtabletten? Was ist mit seinem in Afrika lebenden Vater, und warum ermahnt ihn die Mutter so auffällig, sich doch bitte normal zu verhalten?

Sei es der sexuell ausgehungerte Polizist, die übergewichtige Studentin, die scharfsinnige Reporterin – sie alle enden unter einem riesigen schlagenden Herzen, das ihre Seelen – eine durchscheinende, sich teilende Kugel – in die Münder der mitleidlosen Zwillinge saugt.

Nichts zwischen den Zeilen

So attraktiv der Budenzauber auch sein mag (die alte, feuchte Mauer mit der niedrigen Eisentür, die auf einmal da ist und sich mühelos öffnen lässt – welcher Leser wäre dafür unempfänglich?) – dahinter verbirgt sich nichts. Wir lesen Trivialliteratur, in der in den Zeilen bereits alles gesagt wird. Zwischen den Zeilen bleibt der Text stumm.

Buchhinweis

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David Mitchell: «Slade House». Random House, 2018.

Dass David Mitchell von Haus aus kein Trivialautor ist, zeigen gelungene Formulierungen. «Meine Frage fällt in einen Brunnen ohne Boden, und ich vergesse, was ich vergessen habe», sagt der 13-jährige Junge, als er in den Bann der Geisterwelt gerät.

Zugleich stösst man in diesem Buch auf reichlich schiefe Metaphern: «Meine Emotionen wirbeln durcheinander wie Gemüse in einem Standmixer», so die Schwester einer im Slade House verschollenen Studentin.

Man kann mit diesem Buch einen vergnüglichen Nachmittag verbringen – aber Literatur darf man von einem breit gewalzten Twitter-Gag nicht erwarten.

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