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Romandebüt «Dort» Hiebe auf den ersten Blick

Niko Stoifbergs Debüt «Dort» ist eine abstossende Geschichte mit abstossenden Charakteren. Und trotzdem ein Ereignis.

Albträume haben das so an sich: Sie nehmen einen gefangen. Man kann ihnen nicht entrinnen, bis die Grenze des Aushaltbaren erreicht ist. Dann wacht man auf und merkt: alles nur ein Traum.

Ähnlich ergeht es dem Leser von Niko Stoifbergs Debütroman «Dort». Die Geschichte, die der junge Luzerner erzählt, liest sich tatsächlich wie ein Albtraum. Sebi Zünd, der Ich-Erzähler, will um jeden Preis die Aufmerksamkeit von Lydia gewinnen.

In ihr hat er nur Stunden zuvor die Frau seines Lebens erkannt, als er sie zum ersten Mal sah.

Ein perfider Plan

Schnell hat Sebi auch das perfekte Mittel zum Zweck bereit: Er stösst das Kind, das sie bei sich hat, in den See – und springt sogleich hinterher, um es heldenhaft zu retten.

Der kleine Junge ertrinkt trotzdem. Für ihn kommt Sebis inszenierter Heldenmut zu spät. Aber für Sebi selbst ist sein «Publicity-Stunt» ein voller Erfolg. Nicht nur bemerkt Lydia ihn endlich – sie verliebt sich auch prompt in ihn.

Ungesunde Beziehung

Die Beziehung, die zwischen ihr und Sebi nun wächst, ist geprägt von seinen immensen Schuldgefühlen. Diese Gefühle erstarken, als Sebi erfährt, wie seine eigene und Lydias Familie in den Vorfall verstrickt sind.

Ein Mann steht am Seeufer
Legende: Am Rande des Wahnsinns: Niko Stoifbergs Figuren lieben, morden und lügen. Hendrik Dietrich

Aus Angst, Lydia gleich wieder zu verlieren, sagt er ihr nie die Wahrheit. Es kommt noch schlimmer: Lydia bestätigt ihn in seiner Tat. Sie gesteht, dass sie insgeheim froh ist über den Tod des Jungen.

Abstossende Figuren

Um Sebi und Lydia entspinnt sich eine Geschichte voller Selbstekel, Feigheit, Verfolgungswahn und innerfamiliärer Intrigen. Eine Geschichte mit lauter Figuren, die bereit sind über Leichen zu gehen, um zu bekommen, was sie wollen.

Schockierend daran: Sie kommen alle damit durch. Alle wissen über die Machenschaften der Anderen Bescheid.

Sprachlich besonders geschliffene Bilder sucht man in dem Roman vergeblich. Stellenweise tauchen sie auf, doch nach und nach merkt man: Um rhetorische Eloquenz geht es Niko Stoifberg mit seinem Debüt wohl gar nicht.

Kaum auszuhalten

Viel wichtiger scheint es ihm, dieses unangenehm beklemmende, eben albtraumartige Gefühl in seinen Leserinnen und Lesern zu erwecken. Das gelingt ihm ausgezeichnet.

Buchhinweis

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Niko Stoifberg: «Dort». Nagel & Kimche, 2019.

«Dort» ist stellenweise kaum auszuhalten. Stoifberg zeigt Menschen mit extrem fragwürdigen Wertvorstellungen, die skrupellos handeln und doch am psychischen Abgrund herumtaumeln.

Kein Ende in Sicht

Er bringt es fertig, dass man dieses Buch beim Lesen trotz seines abstossenden Inhalts nicht weglegen mag – mit dem Effekt, dass man sich geradezu voyeuristisch vorkommt. In der Folge überträgt sich der Selbstekel der Figuren auf das Publikum.

Anders als nach einem echten Albtraum kann man nach der Lektüre dieses Buchs aber nicht wirklich aufatmen. Der Roman ist zwar zu Ende – aber das ungute Gefühl, das er hinterlässt, wird noch eine Weile hängen bleiben und Anlass zu mancher Diskussion liefern.

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