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Literatur Rüdiger Safranski: Goethe würde E-Mails nicht selber beantworten

Der Schriftsteller und Philosoph Rüdiger Safranski blickt in seiner Biografie «Goethe – Kunstwerk des Lebens» auf den Menschen Goethe. Mit viel Empathie und Humor holt er den Dichterfürsten von seinem Sockel herunter und zeigt ihn als genialen Ignoranten.

Es gibt Schriftsteller, die gehören in der Schule zum Pflichtstoff. Pflichtstoff, ein grässliches Wort. Es tönt nach harter Arbeit und wenig Spass. Der deutsche Klassiker Johann Wolfgang von Goethe gehört für viele in diese Kategorie.

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Safranski: «Mit Goethe wird es einem nicht langweilig.»
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Dass die Beschäftigung mit Goethe und seinem Werk aber Spass machen kann, das beweist Rüdiger Safranski mit seiner Biografie «Goethe – Kunstwerk des Lebens». Dieses Buch bringt Goethe als Menschen nahe mit all seinen Leidenschaften, Fehlern und Brüchen im Leben. Es zeigt auf, wie Goethe nicht nur an seinem Werk, sondern auch an sich selber ein Leben lang gearbeitet hat. Rüdiger Safranski, einer der bekanntesten Biografen und Philosophen im deutschsprachigen Raum, hat sechs Jahre an dieser Biografie gearbeitet – und es war ihm kein Tag zuviel, wie er selber sagt.

Modell für ein gutes Leben

Rüdiger Safranski

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Legende: SRF

Der Philosoph und Schriftsteller wurde bekannt durch seine Bücher zu Schiller, E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer, Nietzsche und Heidegger. Rüdiger Safranski moderierte zusammen mit Peter Sloterdijk von 2002 bis 2012 das «Philosophische Quartett» im ZDF. Seit Juli 2012 ist er Mitglied im Kritikerteam des Literaturclub.

Was macht denn nun Goethes Leben so besonders? Was macht es zu einem Kunstwerk, wie der Titel der Biografie andeutet? Rüdiger Safranski geht dieser Frage nach, indem er Primärquellen, also Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen von Zeitgenossen studiert. Er schält eine wichtige Lebensmaxime von Goethe heraus: in der Welt tätig sein, sich der Welt stellen und sich über das Tun selber erkennen. Das war für Goethe wichtig.

Dabei sei Goethe, so Safranski, immer wieder Risiken eingegangen, um sich neu zu finden. Und er habe dabei ein enorm gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt gehabt. Nach der wilden Jugendzeit stürzte er sich in Amtsgeschäfte, übernahm Verantwortung, wollte in der Gesellschaft tätig sein. Als dieses Amt ihn aufzufressen begann, er sich selber nicht mehr spürte, nahm er sich eine Auszeit und setzte sich nach Italien ab.

Kluger Manager seiner Zeit

Goethe war selektiv. Er lebte sozusagen nach dem taoistischen Prinzip: «Tu nur ein Ding zur selben Zeit, aber tu es richtig», sagt Rüdiger Safranski. Goethe wusste, wie man sich gegen das Zuviel abgrenzt. Auch wenn es zu Zeiten des Dichters noch gemächlicher zu und her ging: Die Flut an Anfragen und Terminen, die damals auf ihn einbrachen, sei erheblich gewesen.

Zudem sei Goethe gegen Ende seines Lebens entsetzt gewesen über die aufkommende Beschleunigung. Er habe einmal zu Freunden gesagt, er lese die Zeitungen extra eine Woche nach Erscheinen, weil ihm die Hektik auf die Nerven gehe. Würde Goethe in der heutigen Zeit leben, er wäre sicher nicht immer erreichbar und würde seine E-Mails auch nicht selber beantworten, meint Safranski.

Starkult um Goethe

Zu seiner Zeit hatte Goethe – vor allem der junge Goethe – den Status eines Popstars. Dies ohne die Kommunikationsmittel der heutigen Zeit. Es lief damals alles über Mund-zu-Mund-Propaganda, über Briefe, über Gerüchte. Man wollte diesen Kerl, dieses Dichtergenie, auch sehen, so Rüdiger Safranski. Der Ansturm bei ihm zuhause sei so gross gewesen, dass der junge Goethe Audienzen abhalten musste.

Buchhinweis

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Rüdiger Safranski: «Goethe – Kunstwerk des Lebens». Biografie. Carl-Hanser-Verlag 2013.

Der Starkult sei ihm aber auch auf die Nerven gegangen. Und dass ihm das Dichten so leicht fiel, habe ihn auch in eine Sinnkrise gestürzt. Er habe ein Gefühl der Leere gespürt, «Lebensekel», nennt er es selber. Dagegen schrieb er an mit dem Briefroman «Die Leiden des jungen Werther». Schreiben sei für ihn auch eine Art Therapie gewesen.

Faszination für die Goethe-Zeit

Für Rüdiger Safranski stand am Anfang die Neugierde, der Wunsch auch, sich an den «Berg Goethe» heran zu wagen. Es ist aber auch die Epoche, das ausgehende 18. und das 19. Jahrhundert, die ihn interessiert und fasziniert. Eine Hochblüte der Geistesgeschichte in Deutschland. Eine Zeit, in der sich Rüdiger Safranski sehr gut auskennt und in der er sich wohl fühlt.

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Safranski zu Goethes Spielzeug-Guillotine
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Das merkt man dieser Biografie an. Sie vermittelt ein stimmiges Bild von Goethe und seiner Zeit. Mit viel Empathie und Humor holt Safranski den Dichterfürsten von seinem Sockel herunter. Das macht er unter anderem mit Anekdoten, die er in Briefen und Texten von Zeitzeugen gefunden hat. Zum Beispiel, dass Goethe nach der französischen Revolution seinem kleinen Sohn eine Spielzeug-Guillotine schenkt.

Solche Anekdoten und kleinen Geschichten gibt es viel in diesem Buch. Sie machen Goethe menschlicher und die Lektüre vergnüglich. «Goethe – Kunstwerk des Lebens» ist eine Biografie, die Goethe-Liebhaber entzückt; und diejenigen, die sich Goethe in der Schule vergällen liessen, finden damit einen neuen Zugang zu ihm.

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