Ich treffe den Autor Doron Rabinovici in Wien. Während unseres Gesprächs zieht ein heftiges Gewitter auf, bald ist die Stimmung so düster wie in seinem neusten Roman «Die Ausserirdischen». Nur dass bei unserem Gespräch weit und breit keine Ausserirdischen in Sicht sind.
«Sind Sie wirklich sicher, dass sie nicht da sind?», fragt Doron Rabinovici trocken.
Die Decke der Zivilisation ist dünn
Die Frage ist berechtigt, denn in seinem Roman sind die Ausserirdischen zwar auf der Erde gelandet, aber man sieht sie nicht. Man spürt sie nur, weil sie sich einmischen, zuerst subtil, dann immer offensichtlicher. Das ist unheimlich.
Zunächst löst die blosse Ankündigung, dass fremde Wesen aus dem All auf der Erde gelandet sind, Panik aus. Innerhalb weniger Tage bricht alles zusammen, es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände.
Banden ziehen marodierend umher. Läden werden geplündert, Leute für ein wenig Nahrung getötet. Kurz: Die totale Anarchie bricht aus.
Brutaler Tribut an die Ausserirdischen
Zum Glück greifen die Ausserirdischen ein, stellen Ruhe und Ordnung wieder her. Sie versprechen den Menschen ein Leben in Wohlstand, in dem es keine Kriege und Krankheiten mehr geben wird. Doch ganz umsonst ist das nicht zu haben. Die Ausserirdischen verlangen ein Opfer.
An dieser Stelle wird die Geschichte drastisch. Bald geht nämlich das Gerücht um, dass die Ausserirdischen Menschenfleisch mögen. Allerdings nur, wenn es freiwillig gegeben wird.
Da sie in friedlicher Absicht gelandet sind, fordern sie das Menschenopfer nicht einfach ein. Nein, die Menschen sollen sich was einfallen lassen.
Schlachten, aber schmerzfrei
Jetzt stellt sich heraus, dass die Menschen unheimlicher sind als die Ausserirdischen. Denn sie organisieren Wettkämpfe, um den Ausserirdischen das Menschenopfer zu liefern.
Über Castingshows werden Freiwillige gesucht. Wer mitmacht, wird als Held gefeiert und ihm winkt während der Wettkämpfe ein Leben in Luxus. Die Verlierer allerdings werden geschlachtet – natürlich komplett schmerzfrei.
Moralische Dunkelzone
Die Medien schlachten die Castingshows regelrecht aus. Niemand kann sich den Spielen entziehen. Doch wer zuschaut, macht sich mitschuldig.
Indem die Menschen zusehen, wie es geschieht, seien sie dafür verantwortlich, dass es geschieht, heisst es im Roman. Wie gehen die Menschen mit dem moralischen Dilemma um, vor das sie die Ausserirdischen stellen?
Parodie auf die Medien
Doron Rabinovici stellt die provokative Frage: Darf man Menschen opfern, auch wenn sie sich freiwillig schlachten lassen? Diese Frage wird im Roman in den Medien, in Talkshows diskutiert.
Mit pechschwarzem Humor macht sich der Autor nun über die Medien und ihre Vorliebe für Experten lustig. Die Experten eiern herum, beleuchten das Pro und das Kontra. Das ist unglaublich witzig. Doch das Lachen bleibt im Halse stecken.
Das sei Absicht, sagt der Autor bei unserem Gespräch: «Wir sehen und hören doch solche Experten tagtäglich in den Medien.»
Nur leicht verschoben
Überhaupt ist alles, was Doron Rabinovici in seinem Roman «Die Ausserirdischen» erzählt, ganz nah an der Wirklichkeit, nur einfach leicht verschoben. Auch wenn die Geschichte gegen Ende immer grotesker und brutaler wird.
Das Unheimliche dieser Geschichte ist: Fast alle machen mit. Nur wenige leisten Widerstand. Auch als Gerüchte hörbar werden, dass immer mehr Menschen mit Gewalt auf die Schlachtbank geführt werden.
Spiegel der heutigen Gesellschaft
Was wie ein Science-Fiction-Roman daher kommt, ist in Wahrheit eine bitterböse Gesellschaftssatire. Der Wiener Autor Doron Rabinovici, auch bekannt als Historiker und streitbarer Intellektueller, benutzt die Wesen aus dem All, um unserer Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten.
Er zeigt, wie wenig es braucht, bis wir Menschen unsere höflichen Umgangsformen und unser ziviles Verhalten über Bord werfen. Und er zeigt auch, wie in der heutigen Spassgesellschaft, in der alles erlaubt ist, menschliche Grundwerte, ja sogar die Demokratie in Gefahr geraten.
Verantwortlich sind die Menschen
Es ist ein dramaturgisch geschickter Schachzug, dass die Ausserirdischen bis zum Schluss des Romans nie auftauchen. Auch wenn in ihrem Auftrag schreckliche Dinge angeordnet werden, sind es immer Menschen, die handeln.
So bleibt zum Schluss die Frage: Waren die Ausserirdischen überhaupt je da?
Ich stelle sie dem Autor. Doron Rabinovici wiegt den Kopf und meint: «Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiss.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 52 Beste Bücher, 6.8.2017, 11:03 Uhr