Es ist ein Allerwelts-Thema: Der Verlust eines geliebten Menschen. Aber wie schreibt man darüber, ohne tränenselige Gemeinplätze zu bedienen, ohne in Kitschfallen zu tappen? Wie schreibt man über eine Erfahrung, die allen zustossen kann und einen selbst doch einzigartig trifft? Vielleicht so wie Henriette Vásárhelyi: ruppig und masslos, ätzend und schrill, wie die Trauer, die die Ich-Erzählerin empfindet.
Eva und Jan kennen sich, seit sie 13 sind: eine DDR-Kindheit an der Ostsee, in wenigen Stichworten filigran skizziert. Später dann kommt Heiner hinzu, und nun sind sie zu dritt, ähnlich wie Catherine, Jules und Jim in François Truffauts Film «Jules und Jim» beziehungsweise Henri-Pierre Rochés Roman.
«immeer» beginnt und endet auf Elba
Sie ziehen in Heiners Berliner Wohnung, nehmen Drogen, verbringen die Nächte in Techno-Schuppen, streiten und versöhnen, schützen und verraten sich. Jung, ohne festen Boden unter den Füssen in einer wankenden Welt, fordern sie das Leben heraus. Bloss, dass Jans Leben schon lange an einem seidenen Faden hängt: Er leidet an einem immer wieder nachwachsenden Hirntumor, der nur kurze Atempausen gewährt auf dem qualvollen Weg in den Tod.
«immeer» beginnt und endet auf Elba: «Wenn das Alte nicht mehr geht, dann muss was Neues her. Elba statt Hiddensee, das muss ich erst mal begreifen.» Monn hat den Urlaub organisiert, der Mann, den Eva kennenlernte, weil sie auch nach Jans Tod nicht aufhören konnte, seine Handynummer anzurufen. So, wie sie nicht aufhören kann, um Jan zu trauern. Obwohl er am Schluss nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, und obwohl sie wusste, dass er schwul war und vielleicht sowieso immer nur den Stricher und Dealer Heiner geliebt hat.
Sprünge, Einschübe und Rückblenden
Eva verschanzt sich in der einst gemeinsamen Wohnung, ignoriert den näher rückenden Kündigungstermin, reagiert nicht auf die Anrufe von Jans Eltern, die seine Sachen abholen wollen, bedenkt Monns Fürsorge mit bockiger Wut. Und in ihrer Angst, die Erinnerungen an Jan könnten verblassen, kommt sie sich mehr und mehr selbst abhanden.
Henriette Vásárhelyi erzählt das alles auf dünnem Eis. Erzählt in Sprüngen, Einschüben, Rückblenden. Erzählt im rüden Slang des Prekariats und in der poetischen Wucht des Schmerzes. «immeer» ist ein Wagnis – und ein gelungenes dazu.