«Bergfahrt» gilt als Ludwig Hohls wichtigstes erzählerisches Werk, und der 1980 verstorbene Schweizer Autor hat lange daran gearbeitet. 1926 hat er die Erzählung zu schreiben begonnen, sie immer wieder überarbeitet und erst 1975 veröffentlicht.
«Wie aus der griechischen Mythologie»
Für Roman Graf ist dieser Stoff, den Ludwig Hohl entworfen hat, ein typisch Schweizerischer. Er komme daher «wie aus der griechischen Mythologie»: Zwei junge Männer planen eine Bergbesteigung. Der eine ist ganz aufs Ziel fokussiert, den Gipfel. Der andere bleibt unentschlossen, ein blosser Mitläufer. Er gibt nach einigen Wechselfällen auf und kehrt um.
So setzt der Gipfelstürmer den Anstieg alleine fort. Oben angelangt, beginnt für ihn ein langes, durch alle Stationen bewusst erlebtes Sterben. Während der Mutlose einen raschen Tod stirbt, als er, bereits wieder im Tal, aus Unachtsamkeit in einen Wildbach stürzt.
Ironisch gebrochener Pathos
Roman Graf übernimmt Ludwig Hohls Anlage, besetzt das Personal allerdings mit einem jungen bi-nationalen Paar: André, in Berlin lebender Schweizer, Louise, Tiefbauzeichnerin aus Mecklenburg-Vorpommern. Dass das nicht gut gehen kann, merkt man schon im ersten der 26 kurzen Kapitel. Es ist mit «Unerfreulicher Empfang» überschrieben und schlägt auch gleich diesen Ton an, der einen an Johanna Spyris «Heidi»-Kinderbücher erinnert. Bis man merkt, wie hinterhältig ironisch das Pathos rund um des Schweizers Beziehung zu seinen Bergen gebrochen wird.
Am Ausgangspunkt der mehrtägigen Tour hängt dichter Nebel. Während André findet, man müsse sich das schlechte Wetter zum Verbündeten machen, kauft Louise in der Bäckerei einen Kaffee und ein Croissant. Dies, obwohl man im Hotel eben ausgiebig gefrühstückt hatte.
Und schon geht es los. André, aus dessen Binnenperspektive Roman Graf erzählt, nervt sich stumm, dass Louise ihr Croissant Bissen für Bissen herunter würgt, statt mit einem Schluck Kaffee nach zu helfen. Er fragt «Nun?», statt gerade heraus zu sagen, Louise solle endlich trinken und aufessen, er wolle los.
Globalisierungsparolen im Hochgebirg
Was bei Ludwig Hohl noch existentielle Parabel war, ist bei Roman Graf von Anfang an Brennglas eher unsympathischer schweizerischer Eigenheiten und Protokoll der Versatzstücke-Philosophie in einer globalisierten Welt. Denn André hält sich während der anstrengenden und auch gefährlichen Tour mit Floskeln bei Laune, wie sie in jedem Management-Handbuch oder Selbsthilfe-Ratgeber Legion sind.
Da ist von «über die eigene Grenze hinausgehen» die Rede, oder von «Herausforderungen, die den Charakter formen», und Andrés Beziehung zu Louise ist geprägt von einer Mischung aus Minderwertigkeitsgefühlen, Eifersucht und Verachtung.
Ein Schüblig ist keine simple Wurst
Plus dem erwähnten verdrucksten Kommunikationsstil, der meint, nobel und anständig zu sein. Und dabei viel verletzender ist als ein klar gesprochenes Wort. Und wenn dann Louise auch noch den Bauernschüblig als «simple Wurst» bezeichnet und sie verschmäht oder fröhlich mit dem – behüte! – deutschen Hüttenwart plaudert, kann André zum ausgewachsenen Rassisten werden, unausgesprochen natürlich.
Eine unsympathische Figur also und doch ein Spiegel, in den man gar nicht so ungern guckt, weil Roman Graf seine tragisch endende Bergbesteigungsgeschichte mit hintersinnigem Witz, Tempo und überraschenden Volten erzählt.