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Literatur Sein Leitmotiv war der Tod

Der Schriftsteller der Stunde in den 1980er-Jahren war kein 68er, dafür war Hermann Burger zu sehr mit seiner Kunst beschäftigt. Und er litt unter höllischen Depressionen. 1989 hat er sich das Leben genommen. Jetzt ist sein Werk in einer Gesamtausgabe neu zugänglich.

Schneller als gedacht senkte sich der Name Hermann Burger im öffentlichen Bewusstsein ab. Gehalten hat sich dafür das Bild des Zauberers auf der Bühne und das des Unidozenten, der extravagante Autos fuhr. Völlig zu Unrecht, wie sich jetzt erweist: Burger war ein eigenständiger Lyriker und ein Romancier, der keineswegs nur auf «l'art pour l'art» gemacht hat. Denn seine Sprachfeuerwerke waren durchaus in der Schweizer Gegenwart geerdet. Doch waren wichtige Titel wie die Romane «Schilten» und «Die künstliche Mutter» sowie der Erzählband «Diabelli» bald schon nach Burgers Tod vergriffen.

Junger Dichter mit markantem Ton

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Hermann Burger – Wo ist der Mann aus Worten?
Aus Sternstunde Philosophie vom 09.02.2014.
abspielen. Laufzeit 53 Minuten 17 Sekunden.

In den meisten überdurchschnittlichen Prosautoren steckt in der Regel auch ein guter Lyriker. 1967 debütierte der 25-jährige Germanistikstudent mit dem Band «Rauchsignale». Dies weckt Assoziationen an die drei hohen C, die für Burger von Bedeutung waren: Das «Cigarristische» – Burger war ein leidenschaftlicher Zigarrenraucher –, das «Circensische» – die Zirkusader – sowie das «Cimiterische» – das zur Welt des Friedhofs, des Todes gehörende.

Burger schrieb damals an einer Dissertation über Paul Celan. Er hatte es also nicht mit experimenteller oder gar politischer Lyrik. In manchen Gedichten lässt sich das Begriffspaar herauslesen, welches später das gesamte Prosawerk Burgers prägen wird: die Todesangst und die Todessehnsucht. Der Tod ist das Leitmotiv dieses Autors. Er begleitet ihn – und uns mit ihm – auf Schritt und Tritt, etwa im Gedicht «Kranzdeponie»:

Zwygart schichtet zum Turm die Gebinde und fährt sie zur Mulde, // Stück um Stück wird zerpflückt, Spruchschleifen flattern im Wind, // Kinder sammeln begeistert die abgefallenen Lettern, // Lernen das Alphabet, legen Majuskeln in Gold.

«Die künstliche Mutter» – eine Hypergroteske

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Hermann Burger über «Die künstliche Mutter»
Aus Kultur Extras vom 07.03.2014.
abspielen. Laufzeit 10 Minuten 24 Sekunden.

Hermann Burgers Hauptwerk «Die künstliche Mutter» ist eine episch breite, wuchtig bitterböse Satire auf die Psychoanalyse, die Medizin, die Universität und die Heimat-tümelnde Schweiz. Der Schauplatz liegt im Herzen des Mythos unseres Landes, dem Gotthard. Der Held ist Wolfram Schöllkopf, seines Zeichens kaltgestellter Dozent an der Abteilung für Germanistik und Glaziologie der ETH.

Natürlich ist dies eine Persiflage auf die ETH, zu dessen Lehrkörper Burger zeitweise gehört hat. Die Geschichte, die Burger unter seinem Witz- und Schimpfwortschwall begraben hat, ist absonderlich und banal zugleich: Literaturdozent Wolfram Schöllkopf leidet an Impotenz und Penis-Spasmen. Verursacher dieses urologischen Leidens sind mütterlicher Liebesentzug und eine sexualfeindliche Erziehung. Durchaus wesentliche Themen. In einer Klinik im Innern des Gotthardmassivs und in der Schöllenenschlucht, der «künstlichen Mutter» eben, sucht Schöllkopf Heilung. Natürlich vergeblich.

Aussergewöhnlichen Eloquenz und Kombinationsgabe

Burger ist mit diesem Roman eine Groteske gelungen, die spielend an das heranreicht, was beispielsweise Dürrenmatt aus ähnlichen, typisch helvetischen Stoffen herausgeholt hat. Burgers verzweifelte Suada verdankt sich einer aussergewöhnlichen Eloquenz und Kombinationsgabe. Und einem Furor ohnegleichen, gegen alles und jedes.

Es ist nachträglich müssig zu fragen, wie viel Burger in Schöllkopf steckt. Tatsache ist, dass einer der letzten Sätze des Erzählers lautet: «Es käme wohl jetzt darauf an, den Rest der Existenz abzuleben.» Wie war das schon wieder mit Burgers Todesmotiv?

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