Trotz Nieselregen will Simon Beckett den General Cemetery besuchen, einen halb zerfallenen Friedhof aus dem vorletzten Jahrhundert. «Irgendwo hier müssen noch ein paar meiner Urahnen liegen», schmunzelt der 58-jährige Engländer.
«In der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, wurde der Tod nicht hinterfragt: Jemand starb, und es blieb ein Rätsel, was danach geschah», sagt der Schriftsteller. «Darum habe ich diese Neugier zu wissen, was mit einem Körper passiert nach dem Tod.»
Simon Beckett wollte ursprünglich Biochemie studieren und Wissenschaftler werden. «Dieses wissenschaftliche Interesse hatte ich schon immer. Mit dem Schreiben habe ich einen Weg gefunden, es einzubringen».
Zerfall des menschlichen Organismus
Becketts Spezialität sind die minutiösen Beschreibungen der chemisch-physikalischen Prozesse, die beim Zerfall des menschlichen Organismus nach dem Tod ablaufen. Je nach den herrschenden Umständen und Umweltbedingungen verwesen Leichen ganz unterschiedlich. Das erlaubt den Spezialisten Rückschlüsse auf die Identität der Toten und die Todesumstände.
Wie beim Puzzle ergeben die Details, wenn sie richtig zusammengesetzt werden, ein schlüssiges Bild. Becketts Protagonist David Hunter ist ein Meister dieses Puzzlespiels und wird deshalb bei rätselhaften Mordfällen oft von der Kriminalpolizei zu Rate gezogen.
«Viele Leute sagen mir, dass sie meine David-Hunter-Serie mögen, obwohl sie normalerweise keine Krimis lesen». Das ist wohl so, weil Beckett das Grauen des Todes konsequent entmystifiziert.
Unterschwellige Gefühle von Angst und Ekel
Indem er ihn im sachlichen Licht der Wissenschaft untersucht und beschreibt, ermöglicht er dem Leser eine nüchterne Annäherung, eine rationale Auseinandersetzung mit den unterschwelligen Gefühlen von Angst und Ekel.
«David Hunter ist ein Wissenschaftler. Die Geschichte ist eine Erzählung mit allen Details aus seiner Perspektive. Obwohl die meisten Menschen das grausig und abstossend finden, kann er mit einem anderen Blick darauf schauen», sagt Beckett. «Ich denke, deshalb können die Leser das im selben Geist betrachten.» Und sogar noch etwas lernen dabei, wie nicht wenige seiner Leser ihm dankbar berichten.
Inspiration auf der «Body Farm»
Doch wie ist der Idee vom forensischen Anthropologen verfallen? «Ich arbeitete als Journalist. 2002 wurde ich für eine Reportage in die USA auf die Body Farm der Uni von Tennessee in Knoxville geschickt», erzählt er.
«Das war damals der einzige Ort der Welt, wo über die Verwesung realer menschlicher Leichen geforscht wurde.» Die forensischen Anthropologen vor Ort fingieren Tatorte und benützen dazu echte menschliche Überreste, zerfallende Leichen und Skelette von Menschen, die ihre Körper zu Lebzeiten der Wissenschaft vermacht haben.
Polizeischüler müssen daran üben, wie man bei Mordfällen richtig ermittelt. «Ich hatte so etwas noch nie gesehen zuvor und hätte es mir auch nie vorstellen können», sagt Beckett. «Es war eine bizarre Erfahrung. Aber da kam mir die Idee von David Hunter.»