«Der Tod ist ein Skandal», meinte bereits Elias Canetti. Und dieser Satz könnte als Motto stehen für die Hauptfigur von Christoph Geisers neuem Roman «Schöne Bescherung». Nach einer längeren Pause tritt der 64-jährige Geiser mit diesem Buch zum ersten Mal wieder an die Öffentlichkeit. Während seine früheren Romane eher konventionell geschrieben waren, betritt der Basler Autor nun bis zu einem gewissen Grad Neuland.
Nach dem Tod der Mutter wird dem etwas über 60 Jahre alten Ich-Erzähler – er spricht stets von «wir» – die eigene Vergänglichkeit bewusst. Sie löst in ihm eine Sinnkrise aus. Von Unruhe getrieben scheint er jeglichen Halt zu verlieren. Der «Wir»-Erzähler ist nicht krank. Dennoch legt ihm der Hausarzt nahe, seinen Lebenswandel zu ändern. «Wir» erschrickt, ist er doch dem Tabak und Alkohol durchaus nicht abgeneigt.
Der Tod ist allgegenwärtig
In der Folge treibt es «Wir» in eine luxuriöse Schlossklinik im Thurgau. Auch hier keine Heilung, im Gegenteil: Die anderen Gäste der Klinik, die an den unterschiedlichsten Gebrechen leiden, werfen den «Wir»-Erzähler erst recht auf die eigene Endlichkeit zurück. Monsieur «Lamort» triumphiert.
Wo immer «Wir» hinkommt, kreisen seine Gedanken um den Tod, die Hinfälligkeit, die Unausweichlichkeit des Zerfalls: Meldungen über Hinrichtungen per Giftspritze, tot geborene Babys oder Terrorwarnungen gehen ihm nicht aus dem Kopf. Sie plagen ihn. Monsieur «Lamort» scheint allmächtig. Und dazwischen blitzt die alte Sehnsucht nach Genuss auf – allen voran die sexuelle Begierde nach jungen Männern.
Ein Lichtblick in Paris
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Es folgt die Flucht nach Paris, in den Louvre. Scheinbar zufällig bleibt «Wir» dort vor einer ägyptischen Kalksteinfigur stehen. Sie ist 5000 Jahre alt und fasziniert ihn aufgrund ihres enormen Alters und ihres zeitlosen, gläsernen Blicks. Erweist sich diese Figur endlich als Gegengewicht zur aus dem Lot geratenen Seele des «Wir»-Erzählers?
«Dein Blick», sinniert «Wir» in Anbetracht der Skulptur, «schleudert mich in den Punkt, in dem die Geraden sich schneiden… Herz verzehrend! … ans Ende des Tunnels». Die antike Skulptur hat Jahrtausende überdauert. Ist doch nicht alles ohne Sinn? Möglicherweise. Gelassene Heiterkeit scheint angezeigt.
Sprache als tobender Wasserfall
Christoph Geiser schildert in seinem Roman die hier skizzierte Handlung nur sehr sparsam. Manchmal geht sie regelrecht unter im enormen sprachlichen Tempo, das den Roman auszeichnet. Mit grosser schriftstellerischer Kunst treibt Geiser den Erzählfluss voran, reiht Gedanke an Gedanke, schmiedet Wortkapriolen, verschachtelt Sätze, schiebt bisweilen Klammerbemerkungen ein, verwirrt mit einer eigenwilligen Interpunktion, schiebt Assoziation über Assoziation – und verwehrt es so dem Leser, irgendwo Halt zu finden.
Es ist diese bunte, sich über viele Konventionen hinweg setzende und bisweilen den Leser vergessende Sprachgewalt, die diesen Roman herausragend macht. Die Sprache als tobender Wasserfall, der nie innehält, sondern unaufhaltbar und scheinbar ziellos in die Tiefe stürzt – und das unkontrollierbare, willkürliche und letztlich skandalöse Treiben des Monsieur «Lamort» formal trefflich aufgreift.
Am Ende scheint es in Geisers Sicht einzig die schöpferische Sprache zu sein, welche sich Monsieur «Lamort» wirksam entgegenstellen könnte. Dieser kathartische Gedanke ist es, der «Wir» im Louvre beim Anblick der ägyptischen Statue durchfährt: «Es gibt doch nichts anderes. Die Leere des Universums erfüllen mit Zeichen, die etwas bedeuten!»