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Spanischer Bürgerkrieg Sie kämpften gegen Franco – und landeten hinter Schweizer Gittern

Im Spanischen Bürgerkrieg kämpften Hunderte von Schweizerinnen und Schweizern auf Seiten der Republikaner gegen die Faschisten – mit fatalen Folgen.

«Ich wurde Zeuge von schrecklichen Szenen. Verwundete Soldaten mit abgeschossenen Armen und Männer mit aufgeplatzten Hirnhälften bedeckten den Kampfplatz. Dunkle Rauchschwaden verhüllten das Schlachtfeld. (…) Es roch nach faulem Fleisch und Verwesung.»

So schildert der junge Schweizer André Jobin das Grauen, das er als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg erlebt. Jobin ist eine fiktive Figur. Er ist die Hauptperson im Debütroman «Lange Schatten über Spanien» des Schweizer Autors Marc Wiederkehr, der seit bald 30 Jahren in Madrid lebt.

Schwarzweiss-Foto junge Männer, wartend, stehend, mit Gewehr in der Hand.
Legende: Schweizer kehren vom Spanischen Bürgerkrieg nachhause zurück (1938), vielen drohte eine monatelange Gefängnisstrafe in der Schweiz. Keystone/Fotostiftung Schweiz/Hans Staub

Fiktiv und doch real

Dem Roman seien intensive Recherchen vorangegangen, erzählt er. In der Figur Jobin habe er eine Vielzahl von Biografien von realen Spanienkämpfern verdichtet.

Rund 800 Männer und einige Dutzend Frauen aus der Schweiz kämpften damals für die Republikaner. Etwa 40 für Franco. Knapp ein Viertel überlebte die Hölle des Kriegs nicht, die von 1936 bis 1939 dauerte.

Der Krieg wurde auf beiden Seiten mit unerbittlicher Härte geführt, bei den Faschisten unter General Franco und bei den Verteidigern der Demokratie, den Truppen der Republikaner. Am Ende des Kriegs trug Franco den Sieg davon. Er führte in Spanien für fast vier Jahrzehnte eine Diktatur. Sie endete erst 1975 mit dem Tod des Generalissimus.

Freiwillige gegen den Faschismus

Von einzelnen Passagen abgesehen sei das Bild «historisch stimmig», das der fiktive Spanienkämpfer André Jobin im Roman abgebe, sagt die Historikerin Franziska Zaugg, die an den Universitäten Bern und Fribourg forscht und lehrt.

«Wenn man reale Memoiren gelesen hat, passt sich André Jobin ganz gut ein.» Dass sich so viele als Kämpfer verpflichteten, sei nur aus der Zeit heraus zu verstehen: «Damals waren viele Menschen beunruhigt über den weiteren Vormarsch des Faschismus, der sich in Italien und Deutschland bereits fest installiert hatte.»

Aus den verschiedensten Ländern meldeten sich Tausende zum freiwilligen Kampf gegen die Faschisten. Insgesamt um die 40'000 – gemäss Schätzungen deutlich mehr als die ausländischen Kämpfer derzeit in der Ukraine.

Idealisten und Arbeitslose

Der Grossteil der «Internationalen Brigaden» in Spanien waren Sozialisten und Kommunisten. Neben ideologischen Motiven trieb aber auch die wirtschaftliche Not junge Menschen nach Spanien, die aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise ohne Arbeit und Verdienst waren.

Auch die Romanfigur André Jobin ist arbeitslos. Als er in Barcelona eintrifft, findet er die Stadt im Aufruhr: In den Strassen protestieren Volksmassen gegen die Faschisten. Jobin lässt sich mitreissen und meldet sich für den freiwilligen Kampf – um «Teil einer Revolution» zu werden, «vielleicht einer grossen».

Farbiges Poster mit drei Köpfen mit gelbem Helm, einer dunkelhäutig, einer asiatisch, einer weiss, mit Weltkugel
Legende: Ein Propagandaposter für die internationale Brigade (1937): «Alle Menschen der Welt sind in der internationalen Brigade, Seite an Seite mit den Spaniern.» Imago / Photo12/ Ann Ronan

An der Front erlebt er jedoch den blanken Horror: die Gefechte, das Sterben, Gräueltaten an Zivilisten. Er kann dies wegstecken, weil er innerlich abstumpft: «Meine innere Wut härtete mich ab. (…) Ich war nie zimperlich bei den Überfällen auf die gegnerischen Positionen, und Gefangene machten wir keine.»

Jobin schildert die wachsende Verzweiflung im republikanischen Lager, weil sich die demokratischen Staaten für neutral erklärt haben und keine Waffen liefern. Francos Truppen indessen werden von Hitler und Mussolini grosszügig und zuletzt kriegsentscheidend unterstützt.

Der Bürgerkrieg im Bürgerkrieg

Den Republikanern bleibt lediglich die – bescheidenere – Waffenhilfe aus der Sowjetunion. Zum Preis, dass der sowjetische Diktator Stalin seinen Einfluss im republikanischen Lager mehr und mehr ausbaut. Das Lager wird in Moskau-hörige Kommunisten und Anarchisten entzweit. Jobin gerät zwischen die Fronten, wird des Verrats beschuldigt und gefoltert.

schwarzweiss Bild Männer in einem Graben, mit dem Rücken zum Bild, mit Waffen bereit.
Legende: Republikanische Soldaten in einem Schützengraben während des Feldzugs von Gipuzkoa im Spanischen Bürgerkrieg. Imago / Photo12/ Ann Ronan

Er kommt mit Glück frei, wird erneut an der Front geschickt, wird schwer verwundet, gesundet. Dann zurück ins Gefecht. Ein paar Monate vor Kriegsende fällt er den Faschisten in die Hände. Sie stecken ihn in ein Gefangenenlager.

Die Zustände sind grässlich. Viele sterben: «Die Leichen wurden jeweils im Morgengrauen in einem Massengrab unweit der Anlage verscharrt.»

Hinter Schweizer Gitter

Nach Kriegsende im März 1939 kommt Jobin frei. Nach Hause! Doch kaum hat er die Schweizer Grenze überschritten, verhaften ihn die dortigen Behörden. Ein Gericht verurteilt ihn zu drei Monaten Haft. Er hat gegen das Verbot verstossen, als Schweizer in einer fremden Armee zu dienen. Er hat «die Wehrkraft geschwächt».

«Jobin hat im Krieg zu den Verlierern gezählt», sagt Marc Wiederkehr, «nun wird er es ein zweites Mal.» Dieses bittere Los teilt die Romanfigur mit den rund 420 realen Heimkehrern, die in der Schweiz mehrmonatige Haftstrafen absitzen mussten.

Buchhinweis

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Marc Wiederkehr: «Lange Schatten über Spanien.» Zytglogge, 2022.

Wenig rühmliche Vorreiterrolle

«Kein Land hat seine heimkehrenden Spanienkämpfer juristisch dermassen hart verfolgt wie die Schweiz», urteilt die Historikerin Franziska Zaugg. Dies passe zur damaligen Spanien-Politik des Bundesrats mit seinem Aussenminister Giuseppe Motta: «Motta war einseitig Franco-freundlich und stand mit Mussolini, Hitler und Franco auf gutem Fuss».

So sei auch wenig erstaunlich, dass die Schweiz – als erste Demokratie überhaupt – bereits im Februar 1939, noch vor Ende des Bürgerkriegs, das franquistische Regime offiziell anerkannt hatte.

Auch habe die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg unverzüglich Wirtschaftsbeziehungen zu Franco-Spanien aufgenommen und es dabei unterstützt, Teil der europäischen Wirtschaft werden zu können. «Da spielte die Schweiz eine Vorreiterrolle», sagt Zaugg.

Für die betroffenen Spanienkämpfer warf die Demütigung der Haftstrafe oft lange Schatten: «Viele waren gesellschaftlich stigmatisiert, hatten nicht mehr die gleichen Berufschancen wie vorher und lebten oft bis ins Alter in prekären Verhältnissen und am Rand der Gesellschaft.»

Der lange Weg zur Gerechtigkeit

Stimmen, welche forderten, die Spanienkämpfer zu rehabilitieren, verhallten ungehört im damaligen verhärteten Klima des Kalten Kriegs.

Erst nach sechs vergeblichen Anläufen billigte das Parlament 2009 eine Vorlage , welche die Spanienkämpfer rehabilitierte und damit auch die Strafurteile gegen sie aufhob. Allerdings lebten damals gerade noch fünf ehemalige Spanienkämpfer.

Die Schweiz hatte sich viel Zeit gelassen, vergangenes Unrecht zu benennen. Einmal mehr.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 09.09.2022, 9:03 Uhr.

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