Abstehende Haare, lachende Augen und ein verschmitztes Lachen. Nils Nyman, der Enkel von Astrid Lindgren, erinnert an ihren Buchrebellen Michel aus Lönneberga.
Ein jugendlicher Charme ist ihm erhalten geblieben – obwohl der Mann schon eigene Kinder hat. «Jeden Samstag hat sie uns zum Abendessen eingeladen», sagt er über seine Grossmutter. «Und im Sommer hat sie sich so lange Ferien genommen, wie auch wir Kinder hatten.»
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Annika Lindgren ist ruhiger und zurückhaltender als ihr Cousin. «Ich war eines dieser Lese-Mädchen», sagt sie. «Die Geschichten meiner Grossmutter habe ich alle verschlungen.» Ihre Berühmtheit habe sie vor allem eifersüchtig gemacht, gesteht sie und wirkt dabei auch heute noch ein wenig ärgerlich.
Astrid Lindgren sei jedoch vor allem ihre Grossmutter gewesen, eine wunderbare Grossmutter. Immer bereit, mit ihren Enkeln zu spielen: «Für uns hat sie sich sogar als Hexe verkleidet.»
Astrid Lindgren versteht die Welt nicht mehr
Eine unbekannte Seite im Leben der Erfolgsautorin wird in den neu erschienenen Kriegstagebüchern sichtbar. Begonnen hat Astrid Lindgren die Aufzeichnungen bei Kriegsbeginn, im Jahr 1939. Sie ist damals 32 Jahre alt. Mutter von zwei Kindern, Ehefrau von Sture Lindgren. Und tief besorgt über den Zustand der Welt.
Sie liest Zeitung, schneidet Bilder von Mussolini, Stalin und Hitler aus, klebt alles in ihr Tagebuch. Sie möchte verstehen. Und kommt doch zum Schluss: «Die Menschheit hat den Verstand verloren.»
Während der folgenden Jahre beschreibt sie die Entwicklungen mit einer Präzision, die ihre Fähigkeiten als Schriftstellerin spürbar werden lässt. Butter, Fleisch, Socken für die Kinder – und dazwischen die Angst vor einer Invasion der Russen oder der Nazis. Als neutrales Land blieb Schweden vom Zweiten Weltkrieg relativ verschont. Doch auch in Stockholm wurden die Folgen von Rationierungen und Zwangsrekrutierungen immer stärker spürbar.
Pippi Langstrumpf trotzt dem Krieg
Mit ihren Enkeln hat Astrid Lindgren erst spät über den Krieg gesprochen. Im Alter fast ganz erblindet, genoss sie es, wenn man ihr vorlas. Nils Nyman ist diesem Wunsch oft nachgekommen: «Und da hat sie mich gebeten, ihr aus ihren Kriegstagebüchern vorzulesen. Erst damals habe ich von ihnen erfahren.» Er ist sich sicher, dass das Schreiben Astrid Lindgren dabei half, Schwieriges zu verarbeiten. Pippi Langstrumpf etwa, die Lindgren in den Kriegsjahren erfand, war eine Figur gegen den Krieg. Ihre flammend roten Haare und eigenwilligen Kleider kann man als eine Art Anti-Uniform verstehen.
Die Tagebücher zeigen eine sehr politisch denkende, mitfühlende junge Frau. Das Schicksal der Soldaten, der Juden und Vertriebenen beschäftigt Astrid Lindgren stark. Doch auch Privates mischt sich immer wieder unter die Aufzeichnungen: der Geburtstag ihrer Tochter, ein Weihnachtsfest auf dem Land. Ihr analytisches Denken bahnt den Weg für spätere politische Stellungnahmen, ist Annika Lindgren überzeugt.
Persönliche Krise am Ende des Kriegs
Gegen Ende des Krieges nehmen die Einträge ab. Astrid Lindgrens Mann Sture hat sich in eine andere Frau verliebt. Sie selbst stürzt in eine tiefe Krise. Nicht einmal mehr das Schreiben hilft, so scheint es. Und doch – Astrid Lindgren bleibt dabei, klebt sporadisch Artikel ein und kommentiert die Treffen der Alliierten. Dann kommt das Kriegsende: Freude in Stockholm, ein Frühlingsfest, die Welt taumelt vor Erleichterung. Und auch bei den Lindgrens scheint das Leben weiterzugehen.
Lindgrens Kinder werden älter, werden erwachsen. Und weitere folgen: Die Schriftstellerin wird geistige Mutter von Kalle Blomquist, Mio und Karlsson vom Dach. Lindgren wird immer berühmter, sie wird zu der Autorin, die wir heute in Erinnerung haben. Irgendwann kommen die Enkel, darunter Annika und Nils. Eine letzte Frage an die beiden: Ihr persönliches Lieblingsbuch von ihrer Grossmutter? Da sind sich die zwei einig: Die Brüder Löwenherz.