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Theater von Bernhard Schlink Darf man Tyrannen töten?

Erfolgsautor Bernhard Schlink spielt in seinem Theaterstück «20. Juli» die Frage durch, ob man einen rechtsextremen Populisten umbringen darf, um die Demokratie zu retten.

Wir sind im Jahr 2021. In einem nicht näher bezeichneten deutschen Bundesland gewinnt ein gewisser Rudolf Peters, ein Populist mit faschistischem Parteiprogramm, die Parlamentswahl. Peters’ Partei ist jetzt die stärkste Kraft im Landtag.

Dies ist die Ausgangslage von Bernhard Schlinks erstem Theaterstück mit dem Titel «20. Juli», einem «Gedankenspiel», wie er es selbst bezeichnet. Der Autor ist insbesondere durch seinen vor über 25 Jahren erschienenen Bestsellerroman «Der Vorleser» über Fragen von Schuld und Verantwortung im Dritten Reich international bekannt geworden.

Reaktion auf die Welt von heute

Mit «20. Juli» reagiert der inzwischen 77-jährige Autor nun offenkundig auf den Umstand, dass die Demokratie mancherorts durch Rechtspopulisten und Autokraten unter Druck geraten ist. Schlink unterlässt allzu deutliche Bezüge zur Realität.

Doch dem Stück liegt die aktuelle und politisch brisante Frage zu Grunde: Was geschieht, wenn die Demokratiefeinde selbst an die Macht gelangen? Es ist denn auch diese Frage, welche in «20. Juli» eine Gruppe Maturandinnen und Maturanden umtreibt.

Sie sind die Hauptfiguren. Wird der Rassist und Volksverhetzer Peters schon bald die ganze Macht im Staat übernehmen und sein Programm des Hasses gegen alles vermeintlich Nicht-Deutsche in die Tat umsetzen?

«20. Juli»: Politisch brisant, literarisch mässig

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Ist der Tyrannenmord eine Menschenpflicht? Macht sich schuldig, wer nicht handelt? Bernhard Schlink wirft in «20. Juli» politisch brisante Fragen auf – und stellt sich damit in eine ganze Reihe von Bühnenwerken der Weltliteratur zu demselben Thema.

Darunter sind Klassiker wie Shakespeares «Julius Cäsar», Schillers «Wilhelm Tell» oder Camus «Die Gerechten». Im Unterschied zu diesen berühmten Vorläufern erweist sich Bernhard Schlink der philosophisch-literarischen Debatte jedoch literarisch nicht gewachsen.

Das Drama «20. Juli» krankt an einer viel zu hölzernen Sprache. So lässt der Autor etwa eine seiner Figuren sagen: «Wenn das politische Attentat aus Ehrgeiz oder Eifersucht geschieht, ist es unsauber. Sauber ist es nur, wenn es als Aufgabe stimmt und nichts sonst eine Rolle spielt, erst recht nichts Persönliches.»

Sätze wie diese mögen intellektuell nachvollziehbar sein. Aber sie sind papieren, erinnern an Lehrbücher und an Vorlesungen zum Mitschreiben. Man finde erst einmal einen Jugendlichen von heute, der so spricht.

Hinzu kommt, dass es Schlink verpasst, die persönliche Betroffenheit der Figuren schlüssig nachzuzeichnen. Man fragt sich, was diese Sprösslinge aus kleinbürgerlichem Milieu eigentlich antreibt. Ihr demokratisches Engagement wird zwar unentwegt behauptet. Nachvollziehen lässt es sich deswegen noch lange nicht.

Sollte sich eine Theatertruppe je dazu entschliessen, dieses Stück aufzuführen, wartet auf diese ein mächtiges Stück Arbeit: den Figuren jene Menschlichkeit einzuhauchen, die man in diesem spröden Text weitgehend vergeblich sucht.

Historische Referenz

Unter den Schulabgängern entbrennt eine heftige Diskussion. Sie bildet den roten Faden des Stücks. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie in der letzten Geschichtsstunde der Jugendlichen.

Und diese findet – zufälligerweise – ausgerechnet am historisch aufgeladenen 20. Juli statt. An jenem Tag also, als 1944 unter der Führung von Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Bombenattentat auf Adolf Hitler sein Ziel verfehlte. Und als damit der bedeutendste Umsturzversuch gegen das Nazi-Regime kläglich scheiterte.

«Wenn es damals richtig war», sagt einer der Schüler in Schlinks Stück, «Hitler umzubringen, damit er Jahre später kein Unheil anrichtet, ist es heute richtig, Peters umzubringen, damit er Jahre später kein Unheil anrichtet. Dass er Unheil anrichten wird, wissen wir.»

Buchhinweis

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Bernhard Schlink: «20. Juli. Ein Zeitstück». Diogenes, 2021.

Pflicht zum Anschlag?

Ist es gar die moralische Pflicht eines jeden Demokraten, einen Tyrannen – präventiv – unschädlich zu machen? Es gibt Gegenstimmen: «Das Strafrecht und das Völkerrecht erlauben kein präventives Zuschlagen.»

Nichts gebe einem Attentäter das justiziable Recht, zum Mörder zu werden. Auch nicht eine vermeintlich «gute Absicht». Hinzu kommen Zweifel, ob sich ein allfälliger Opfertod für die Sache der Demokratie überhaupt lohnt.

«Ein erfülltes Leben», sagt eine der Figuren, sei immer möglich, «wie immer es um das Land steht, demokratisch oder autoritär».

Das Komplott

Trotz aller Einwände wächst unter den jungen Leuten im Laufe des Stücks die Überzeugung, dass Peters beseitigt werden müsse. Und zwar so schnell als möglich. «Wir müssen rausfinden, wo er wohnt, wo er joggt, in welchen Biergärten er trinkt, welche Wege er nimmt, einfach alles. Wir fangen morgen an.»

Ob die Maturanden tatsächlich zur Tat schreiten, bleibt am Ende offen. Ein Brandanschlag kommt dazwischen. Rechte Horden haben ein Haus mit Eritreern angezündet. Die Bevölkerung schaut zu. Auch dies eine beklemmende Referenz an die Gegenwart.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 20.7.2021, 7:06 Uhr

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