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«Tod in Genua» Doppelte Böden, ungeahnte Abgründe

Ein Tag, ein Drama: Die Bündner Autorin Romana Ganzoni lässt in ihrem Romandebüt «Tod in Genua» Gewissheiten einstürzen.

Knapp ein Jahr später als geplant ist am 1. Oktober Romana Ganzonis Roman «Tod in Genua» erschienen. Eigentlich hätte die Engadiner Autorin im August 2018 die Rohfassung bei ihrer Verlegerin einreichen müssen.

Aber einen Roman über Genua zu veröffentlichen, ohne den Einsturz der Morandi-Brücke zu erwähnen, wäre für die Engadiner Autorin einer Verleugnung der Tatsachen nahegekommen.

Buchhinweis

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Romana Ganzoni: «Tod in Genua». Rotpunkt Verlag 2019.

Ein Tag, ein Buch

Das Drama spielt nun an einem einzigen Tag, dem 5. September 2018. Wenige Wochen zuvor hat das monumentale Polcevera-Viadukt 43 Personen unter sich begraben.

Das Paar Nina und Paul ist aus Zürich für eine Beerdigung angereist. Kurz nach der Tragödie ist die 100-jährige Zia Mathilde gestorben. Mit dem Tod der geliebten Tante verschwinden von einem Moment auf den anderen deren Erinnerungen an ein ganzes Jahrhundert.

Symbolisch verbindet sich der Tod der eleganten und stets rauchenden Frau mit dem Zerfall Genuas. Die einst so pompöse Stadt ist in in den letzten Jahren marode geworden und von Korruption und Gewaltverbrechen gezeichnet.

Unerfüllter Kinderwunsch

Während diesem einen Tag der Beerdigung geschieht spektakulär wenig und viel zugleich. Verhandelt wird das in den Gesprächen zwischen den Angehörigen der Trauergesellschaft und zwischen Nina und Paul.

Das Entscheidende aber erzählt Romana Ganzoni zwischen den Zeilen. Sie offenbart es in den Assoziationen und Andeutungen. Zum Beispiel in der Art, wie Paul die Grabblumen hält: «Paul hielt die Blumen für Matilde auf dem Arm, als wären sie das Bettchen eines Säuglings, der zur Taufe getragen wird.»

Auf gespenstische Weise greifen Tod und Leben ineinander. Hier, auf dem Friedhof Staglieno, fördert der Tod verdrängte Erinnerungen zu Tage: Im Laufe der weiteren Erzählung erfährt man, dass Nina und Paul lange versucht hatten, ein Kind zu bekommen.

Doch nach mehreren Fehlversuchen tragen sie auch ihre letzte Hoffnung auf ein spätes Elternglück zu Grabe – in der Stadt, in der ihre gemeinsame Geschichte einst begann.

Auf doppeltem Boden

Etwas zwischen Nina und Paul ist aufgebrochen: eine Lücke, die sich nicht schliessen wird. Geheimnisvoll und sinnlich erzählt Romana Ganzoni vom Ende einer italienischen Ära und vom Ende einer Liebesbeziehung. Beide gehören untrennbar zusammen.

Das Politische und das Persönliche verbindet die Autorin über das Bild des Bodens, der feste Untergrund, auf dem das Paar gemeinsam ging. Die Stabilität ihrer 17-jährigen Beziehung war zuletzt mehr Schein als Sein – genau wie die politische Stabilität Italiens.

Erst gegen Schluss, als sich der Trauermarsch dem Friedhof nähert und der Boden unter ihm buchstäblich durch die Totengräber unterhöhlt wird, beginnt sich abzuzeichnen, dass Nina nicht nur uns als Leserinnen und Leser, sondern auch sich selbst belogen hatte.

Sein und Schein

Das Besondere an diesem Roman ist diese latente Doppelbödigkeit der Erzählung und der Erzählerin, die die Lesenden erst verführt, nur um sie zum Schluss ungeahnte Abgründe schauen zu lassen.

Romana Ganzoni leistet das vor allem sprachlich. In ausladender Weise etwa spricht die Erzählerin und Opernsängerin Nina von der «vita dolce», von schweren Parfüms, von Opernstücken und extravaganter Mode.

Diese Passagen sind nicht nur figurentreu, sondern sie werden zu einem poetischen Spiel von Zeigen und Verbergen, von Schein und Sein. Das macht diesen Roman aus und ist literarisch hohe Kunst.

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