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Umstrittener Nobelpreisträger «Er war so etwas wie Miloševićs West-Papagei»

Der Literaturnobelpreis für Peter Handke zeige, wie ignorant Europa mit den immer noch schwelenden Konflikten in Ex-Jugoslawien umgehe, sagt Miranda Jakiša. Für die Slawistin sendet der Nobelpreis an Peter Handke ein «verheerendes Signal» an die Menschen Ex-Jugoslawiens.

Miranda Jakiša

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Seit 2002 lehrt seit 2002 slawistische Literatur- und Kulturwissenschaft. Sie war von 2002 bis 2004 in Konstanz tätig, von 2004 bis 2006 in Tübingen und von 2006 bis 2019 an der Humboldt Universität tätig. Seit 2019 ist sie Professorin an der Universität Wien.

SRF: Es sind nur einige wenige Texte, die Peter Handke in den 1990er-Jahren über Jugoslawien geschrieben hat. Nicht viel im Vergleich zu seinem enorm grossen Werk. Hat er den Nobelpreis verdient?

Miranda Jakiša: Peter Handke hat den Literaturnobelpreis ebenso verdient wie zahlreiche andere Autorinnen und Autoren. Er ist ohne Zweifel ein literarisches Schwergewicht in formaler, in sprachlicher Hinsicht.

Dennoch erschliesst sich mir nicht, wie die Schwedische Akademie die vielfach kritisierten Jugoslawien-Texte und die Problematik, die sich daraus ergibt, einfach ausblenden konnte.

Was ist an diesen Texten so problematisch?

Problematisch an den Jugoslawien-Texten ist, dass historische und kulturelle Unwahrheiten konstatiert werden. Problematisch ist auch, dass die Menschen der Region – die Bosnier, die Serben, die Kosovaren – essentialisiert werden, ethnisch stereotyp dargestellt werden.

Problematisch an den Jugoslawien-Texten ist, dass historische und kulturelle Unwahrheiten konstatiert werden.

Im Text «Die Kuckucke von Velika Hoca» wird behauptet, dass die Kosovo-Albaner die Auslöschung der Serben schon lange in Planung hatten. Das ist eindeutig eine serbisch-nationalistische propagandistische Position. Handke schreibt, dass sich die Massaker in Višegrad nicht so ereignet haben, wie berichtet wurde. Man könnte viele solche Beispiele aufzählen.

Problematisch ist der West-Blick Handkes. Wie kommt eigentlich der Österreicher Handke dazu, nach Jugoslawien zu reisen und besserwisserisch diese Beobachtungen anzustellen? Vor welchem Hintergrund macht er diese nachweislich falschen Behauptungen?

Handkes Texte muss man aber auch als Gegenposition zu den westlichen Medien lesen, die zum Teil sehr einseitig über die Konflikte berichtet haben.

Handke war einer der wenigen, der das kritisiert hat – und das ist meines Erachtens sein einziger Verdienst. Er hat darauf hingewiesen, dass man Serbien in Kollektivschuld nahm. Immer von «den Serben als dem Aggressor» sprach. Das wurde der Realität Serbiens aber nicht gerecht. Sehr viele Menschen haben massiv protestiert und wurden von der Milošević Regierung mundtot gemacht.

Aber obwohl Handke die Medien kritisiert, hat er sich nicht auf die Seite der Menschen in Serbien geschlagen, sondern auf die Seite der politischen Eliten. Er bleibt die ganzen Jahre hindurch so etwas wie Miloševićs West-Papagei. Der plappert auf dem Arm einfach brav alles nach, was ihm da souffliert wird.

Obwohl Handke die Medien kritisiert hat, hat er sich nicht auf die Seite der Menschen in Serbien geschlagen, sondern auf die Seite der politischen Eliten.

Das würde Handke vehement bestreiten. Er sieht sich ja als Dichter, dessen subjektiver Blick von einer anderen Wirklichkeit erzählt. Seine Texte sind Literatur.

Literatur darf vieles, aber keinesfalls darf sie alles. Und sie stösst dann an ihre Grenzen, wenn sie essayistisch, literarisch vor dem Hintergrund tatsächlicher Ereignisse erzählt. Das Problem ist ja, was das anrichtet, welche Konsequenzen das für die Region hat.

Was bedeutet der Nobelpreis denn für die Region?

Er sendet ein ganz verheerendes Signal aus: Dass es im Westen keinen interessiert, wohin sich die Staaten Ex-Jugoslawiens entwickeln und was tatsächlich geschehen ist.

Handke wollte Gerechtigkeit für Serbien. Gerechtigkeit hat in der Region bisher überhaupt niemand erfahren. Dort laufen im Moment sehr schmerzhafte Vergangenheitsbewältigungsprozesse ab. Das heisst, wir haben es mit Gesellschaften zu tun, die sich noch nicht konsolidiert haben. Sie besitzen kein gemeinsames geschichtliches Narrativ, mit dem man auf die jüngere Vergangenheit zugreifen kann.

Der Nobelpreis für Handke sendet ein ganz verheerendes Signal aus: Dass es im Westen keinen interessiert, wohin sich die Staaten Ex-Jugoslawiens entwickeln.

Geschichtsrevisionismus findet in Kroatien, Bosnien, Serbien statt. Jeder schreibt sich gegenwärtig die Geschichte, die ihm ins eigene nationalistische Selbstbild passt. Und dann kommt diese Stockholmer Akademie, und es bestätigt sich, dass sich in Europa niemand dafür interessiert, was da tatsächlich geschehen ist. Und zweitens spielt man der serbisch nationalistischen Wahrheit in die Hand, die sich jetzt vermeintlich bestätigt fühlt.

Das Gespräch führte Eduard Erne.

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