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Literatur Und ewig lockt das Spiel

Mit «Wintertransfer» hat der Bestsellerautor Philip Kerr einen Fussballkrimi veröffentlicht. Damit schliesst der Brite eine Marktlücke, denn Literatur und Fussball sind eine seltene Liaison. Im Buch findet sich die Liebe zum Sport ebenso wie britischer Zynismus, der einen immer wieder lachen lässt.

Im deutschsprachigen Raum kennt man Philip Kerr vor allem für seine Bernie-Gunther-Reihe, angesiedelt im Berlin der Nazizeit. Der Spezialist für historische Krimis hatte nun Lust auf etwas Neues und widmet sich für einmal einem aktuellen Thema: «Ich wollte über etwas Zeitgenössisches schreiben. Und nichts erscheint mir zeitgenössischer als der Fussball.»

Buchhinweis

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Philip Kerr: «Der Wintertransfer», übersetzt von Axel Merz. Tropen, 2015.

Erfundener Retortenclub

Da könnte leicht der Vorwurf aufkommen, er wolle von der Popularität des Spiels profitieren und mit seiner Krimireihe einfach absahnen. Philip Kerr: «Wenn man sich wirklich dafür interessiert, so wie ich, wieso dann nicht?» Er ist ein Fan des Londoner Clubs Arsenal und regelmässiger Besucher im Stadion.

Für seinen Krimi «Wintertransfer» erfand er jedoch einen Retortenclub namens London City, den ein ukrainischer Oligarch mit viel Geld in die Premier League bringt. Ein fiktiver Verein deshalb, um keine Fans eines anderen Clubs auszugrenzen: «Der Krimi sollte in Bezug auf die Fans so neutral wie möglich sein. Ausserdem kann ich so über finanzielle Aspekte mit mehr Freiheit schreiben, als wenn ich einen realen Club gewählt hätte.»

Video
Philip Kerr über Mourinho.
Aus Kultur Extras vom 19.08.2015.
abspielen. Laufzeit 44 Sekunden.

Ein toter Mourinho …

Die Handlung: Der portugiesische Cheftrainer von London City wird ermordet beim Stadion aufgefunden. Als charismatischer und arroganter Provokateur erinnert er unweigerlich an José Mourinho. Tatsächlich bewundert Kerr den umstrittenen Chelsea-Trainer: «Mourinho ist fantastisch für den Fussball in England. Er ist ein Fussball-Philosoph. Viele seiner Äusserungen offenbaren grossartige Gedanken über den Fussball und das Leben.»

… und sein schwarzer Nachfolger

Experiment Sendungstausch

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Die Redaktionen von sportlounge und Kulturplatz haben ein Experiment gewagt und einander für eine Sendung die redaktionelle Hoheit überlassen. In der Sendung Kulturplatz vom 19. August 2015 schauen die Redaktoren des Sport-Hintergrundmagazins auf den Kulturbetrieb und fragen: Wo ist die Kultur sportlich?

Damit die Polizei möglichst wenig im Verein herumschnüffelt, soll der Mord am Cheftrainer von dessen Assistent und Nachfolger Scott Manson aufgeklärt werden. Manson, der Ich-Erzähler des Krimis, ist in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich: Er ist von Haus aus wohlhabend, hat studiert und ist mehrsprachig; er war aber auch einige Jahre (zu Unrecht) im Gefängnis und ist obendrein schwarz. «Da war wohl ein wenig Wunschdenken im Spiel. Ich warte sehnlichst auf den Tag, an dem es einen schwarzen Cheftrainer in der Premier League gibt», sagt Kerr.

Beissende Kritik

Der Handlung von «Wintertransfer» mangelt es zuweilen an Glaubwürdigkeit. Die grosse Stärke des Buchs ist aber seine herzhafte Kritik. Alle bekommen ihr Fett ab: das Millionenbusiness Premier League, die überbezahlten und tumben Kicker, die unfähige und korrupte FIFA, die Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar oder auch die bösartigen, homophoben Fans.

Video
Philip Kerr: «Das stört mich am Fussball.»
Aus Kultur Extras vom 19.08.2015.
abspielen. Laufzeit 41 Sekunden.

Kerr drückt es so aus: «Ein sanftes, freundliches und fröhliches Buch über den modernen Fussball hätte keinen Sinn ergeben, denn so reden die Leute nicht darüber. Das Spiel hat eine dunkle Seite, und es wäre Wahnsinn, diese nicht zu thematisieren.»

Oft sind die Kommentare geprägt von typisch britischem Zynismus, so dass man laut herauslachen muss. Die Liebe des Autors zu diesem Sport schimmert aber stets durch. Bereits hat Kerr zwei weitere Krimis über Scott Manson geschrieben.

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