«Erdsee» ist ein mythischer Archipel im weiten Ozean. Hier leben Zauberer, Hexen und Drachen in einer vielfältigen Inselwelt.
Im ersten Band «Ein Magier von Erdsee» wird die Geschichte des Jungen Ged erzählt, der mächtige magische Fähigkeiten hat und zur Ausbildung an die Zaubererschule geht.
Wie jede Fantasy-Welt ist auch die «Erdsee»-Reihe ein Stück heile Welt, die man sich in einer von Naturgewalten beherrschten Insellandschaft erträumen kann.
Ursula Le Guin wird allerdings vorgeworfen, ihre «Erdsee»-Saga sei – im Gegensatz zu ihren kritischen Utopien der Science-Ficiton – reaktionär.
Reine Männerwelt
Der Vorwurf nährt sich auch ein Stück weit aus dem Umstand, dass Ursula Le Guin in ihrem ersten «Erdsee»-Roman – in bester Fantasy-Tradition – eine reine Männerwelt entwirft.
Die Zauberschüler gehen bei alten Zauberern zur Schule und lehren in dieser klösterlichen Gemeinschaft eine Kunst, von der die Frauen ausgeschlossen sind.
Frauen pflegen als Hexen ihr magisches Handwerk, traditionell auf dem Land mit Kräutern und einfachen Verwünschungen: ein Handwerk, das bestenfalls mündlich weitergegeben wird.
«Ich bin ein Mann»
Diese dominierende Männerwelt will so gar nicht zur Autorin Ursula Le Guin passen, die sich ihr Leben lang für feministische Anliegen einsetzte. In einem Interview mit BBC Radio 4 meinte sie einmal:
«Ich bin ein Mann. Sie denken jetzt vielleicht, ich habe da etwas falsch verstanden bezüglich der Geschlechter oder sie glauben, ich möchte sie hinters Licht führen. Denn mein Vorname endet mit einem ‹a› und ich besitze drei BHs und war fünfmal schwanger. Aber als ich geboren wurde, gab es einfach nur Männer. Leute waren Männer. Sie hatten alle nur ein Pronomen, das ‹er›-Pronomen. Und das bin ich: Ich bin das generische ‹er›. Wie in dem Satz: Falls jemand eine Abtreibung benötigt, dann muss er in ein anderes Land gehen.»
Emanzipation des Schreibens
Ursula Le Guin hatte ein kritisches Bewusstsein für die männlichen Kontexte, aus denen sie ihr Schreiben entwickelte. In diesem Bewusstsein arbeitete sie an der Emanzipation ihres Schreibens.
«Die Gräber von Atuan», der zweite Roman der «Erdsee»-Saga, wirkt wie eine Replik auf die Männerwelt ihres ersten Romans. Hier erzählt sie von Atuan, einer alten Kultstätte, in der Frauen das Sagen haben.
Im Zentrum der Handlung steht ein Mädchen, die als Reinkarnation der Hohenpriesterin in ein Leben geworfen wird, das von fremden Regeln bestimmt und durchritualisiert ist.
Die eigene Stimme finden
Die Aufgabe des Mädchens, in einer fremden Welt, die ihr keine Identität zugesteht, erwachsen zu werden, entspricht auf berührende Weise dem Weg Ursula Le Guins, die als Autorin eine eigenständige Stimme finden wollte.
«Ich wusste, was Männer in Büchern machten und wie man darüber schrieb. Doch wenn es darum ging, was Frauen taten konnte ich auf nichts zurückgreifen als meine eigenen Erfahrungen. Es war höchste Zeit, dass ich lernte, von mir, von meinem eigenen Geschlecht ausgehend und mit meiner eigenen Stimme zu schreiben.»
Auch das lässt sich im Zyklus von «Erdsee» entdecken: Hier hat eine Autorin immer wieder mit grosser Macht zu ihrer Stimme gefunden.