Der Schriftsteller und Nobelpreisträger V. S. Naipaul ist gestern in London im Alter von 85 Jahren gestorben. Naipaul wurde auf Trinidad geboren, er hatte indische Wurzeln und einen britischen Pass. Er machte nie einen Hehl daraus, dass er überall fremd war und polarisierte mit seinen unorthodoxen Ansichten.
V. S. Naipaul wurde 1932 als Nachkomme indischer Kontraktarbeiter in Trinidad geboren. Mit einem Stipendium ging er 1950 nach Oxford, um Schriftsteller zu werden: «Ich wollte Schriftsteller werden, weil ich an Bildung glaube. Ich wollte schon immer Teil der zivilisierten Welt sein.»
«Man liest nicht»
Wurde er gefragt, wie es um die Literatur in Trinidad stehe, antwortete er scharf: «Schriftsteller in Trinidad haben keinerlei Funktion. Man braucht dort keine Schriftsteller, ist nicht an ihnen interessiert. Man liest nicht. Es ist keine intellektuelle Gesellschaft, sondern eine, die ziemlich instinktiv funktioniert und kaum gebildet ist. Musik und Karneval sind wichtig. Es wäre ein Blödsinn, Schriftsteller in Trinidad zu sein.»
V. S. Naipaul kultivierte seine Überheblichkeit und die Abgrenzung von seiner Herkunft. Aber so leicht war es dann doch nicht, im England der 1950er-Jahre ein Schriftsteller aus den Kolonien zu sein – zumal einer mit dunkler Haut. Ob er wollte oder nicht, Naipaul musste sich mit dem Thema Identität auseinandersetzen, und er wurde in seinen Büchern zum Chronisten der postkolonialen Welt.
Meisterhafte Mischungen
Schon unter seinen ersten Romanen ist ein Meisterwerk: «Ein Haus für Mister Biswas» von 1961. Ein wundervoll humoristisches Buch, eine Art karibische «Buddenbrooks», ein burlesker Roman, in dem Naipaul seine Kindheitserinnerungen an Trinidad verarbeitete.
Naipaul schrieb unermüdlich, mehr als 30 Bücher, oft in Afrika, Asien oder der Karibik angesiedelt – oft eine faszinierende Mischung zwischen Reisebericht, Fiktion und Autobiographie.
Frauen und Feindschaften
Literarisch war er ein Gigant, lange bevor er 2001 den Nobelpreis erhielt. Mit Schriftstellern wie Derek Walcott und Salman Rushdie pflegte er legendäre Feindschaften – die koloniale Welt blieb auch in ihrer postkolonialen Form vermintes Gelände und sorgte für Empfindlichkeiten.
Dazu kamen grosse Egos und politische und künstlerische Differenzen. Naipaul fand zum Beispiel aber auch, Frauen sollten das Schreiben besser lassen – Fettnäpfchen scheute er nun wirklich nicht.
Im Westen mehr Neues
Das bekamen auch seine Landsleute zu spüren – für das Laisser-faire in Trinidad hatte er nicht viel übrig: «Ich glaube daran, dass Menschen fähig sind zur Vervollkommnung. Und so kann ich meinen Landsleuten nun wirklich nicht sagen, jetzt, nach der Unabhängigkeit, lebten sie doch prima. Intellektuell entwickelt sich die westliche Welt so viel schneller. Während der andere Teil der Welt sich geradezu verkrüppeln lässt durch seine Rituale, Mythen und nun auch immer mehr durch importierte politische Dogmen.»
V. S. Naipaul sagte das 1984 (in einem Interview mit SRF). Die Rede von der Spaltung der Welt hörte sich in manchen Ohren schon damals gar nicht gut an. Aber wie so vieles, was Naipaul sagte und schrieb: es war ein wichtiger Impuls.
Und so kann Salman Rushdie nun schreiben: «Ein Leben lang waren wir geteilter Meinung, in Sachen Politik, in Sachen Literatur, und doch bin ich so traurig, als hätte ich einen geliebten älteren Bruder verloren.»
Sendung: SRF 4 News, 03:00 Uhr