Im Sommer 2012 machte die Londoner Polizei in einer Luxusvilla im noblen Chelsea-Quartier eine grausame Entdeckung: Unter einer Matratze im elterlichen Schlafzimmer fand sie die verwesende Leiche der Hausherrin.
Eva Rausing musste schon mehrere Wochen tot sein. Ihr Mann – Hans Rausing – wurde verhaftet. Er schien in total verwirrtem Zustand.
Es war der vorläufige Höhepunkt einer schier endlosen Familientragödie. Und weil es sich bei den Betroffenen um Mitglieder eines der reichsten Clans Europas handelte, hefteten sich Paparazzi und Boulevardjournalisten an ihre Fersen.
Auf Goa angefixt
Hans war als junger Mann während einer Weltreise zufällig mit Heroin in Kontakt geraten, blieb jahrelang an der Nadel hängen und schaffte erst den Ausstieg, als er sich in einer Entzugsklinik in eine reiche Amerikanerin verliebte: Eva.
Die beiden heirateten, bekamen vier Kinder, engagierten sich für wohltätige Zwecke, und die dunklen Zeiten der Sucht schienen endgültig überwunden.
Der Rückfall
Aber ausgerechnet am historischen Silvesterabend 1999, als die ganze Welt zitterte, ob der Sprung ins neue Jahrtausend ein Datenchaos verursachen würde, kam die Wende.
«Hans und Eva gingen zu einer Party und tranken ein Glas Champagner, um zu feiern. Vielleicht tranken sie auch mehr als ein Glas, zum ersten Mal (oder vielleicht auch nicht zum ersten Mal) seit dem Entzug», schreibt Sigrid Rausing in ihrem Buch.
«Die Datumsfunktion verhakte sich nicht, die Flugzeuge fielen nicht vom Himmel, aber unsere Welt ging an dem Abend in die Brüche, durch ein paar Gläser Champagner.»
Streit um Sorgerecht
Die Dämonen waren zurück, Eva und Hans rutschten wieder in den Drogensumpf. Es folgten unerbittliche Kämpfe vor Gericht, weil dem Paar das Sorgerecht für die Kinder abgesprochen wurde. Hans' Schwester Sigrid nahm die Buben und Mädchen in ihre Obhut.
Sigrid Rausing beschreibt nüchtern und fair die Katastrophe in ihrer Familie. Sie richtet nicht, sondern präsentiert ihre persönliche Sicht der Dinge. Und man spürt das Bestreben, sich erzählend selber über die Ereignisse klar zu werden.
Als Motivation für das Buch bezieht sie sich auf ein Zitat von Bernhard Shaw: «Wenn du deine Geschichten nicht selbst erzählst, dann erzählen andere sie für dich, und sie erniedrigen dich, sie demütigen dich».
Die Lügen der Sensationspresse
Sigrid Rausing kennt die Gnadenlosigkeit der Boulevardmedien. Insofern sei «Desaster» auch eine Mediengeschichte, sagt sie im Gespräch.
«Ich wollte herausfinden, ob man einen so tragischen Stoff, der in der Öffentlichkeit derart breitgewalzt und verfälscht worden war, als Grundlage eines literarischen ‹Memoirs› nehmen und etwas Neues daraus machen konnte.»
Die hilflosen Helfer
Entstanden ist daraus auch eine Reflexion darüber, welche Phasen Angehörige von Suchtkranken durchlaufen. Sie wollen helfen, um jeden Preis, und ihr eigenes Leben wird völlig der Sucht untergeordnet.
Der Band erhielt in England hervorragende Kritiken. Der «Guardian» schwärmte «von einer erstaunlichen Kraft, die dieses Buch ausstrahlt» und lobte die Intelligenz der Autorin und das literarische Niveau.
Unruhe in der Familie
Sigrid Rausing hatte ihre Familie früh über das Projekt informiert und damit – wie sie sagt – sehr viel Ängste und Verwirrung angerichtet.
Evas Vater zum Beispiel machte seinem Ärger öffentlich Luft. Er goutierte nicht, dass das Schicksal seiner drogensüchtigen Tochter öffentlich gemacht wurde.
Es sei wohl eine Illusion gewesen, man könne eine gültige Familienoptik auf die Geschehnisse zustande bringen. Denn jeder und jede habe die Drogensucht von Eva und Hans wieder anders wahrgenommen.
Positives Echo
Trotzdem steht Sigrid Rausing zu ihrem Text. Sie erhalte auch viele positive Reaktionen von betroffenen Angehörigen, die ihre eigene Situation da wiederfinden.
Sie selber spricht von einer regelrechten Katharsis, die sie dank dieser intensiven Beschäftigung durchlaufen habe. «Das hatte ich so überhaupt nicht erwartet. Denn ich glaube sonst nicht an die therapeutische Wirkung des Schreibens».
Und wie geht's dem Bruder?
Ihr Bruder Hans sei von den Drogen los, sagt Sigrid Rausing. Er habe wieder geheiratet, «und ich denke, es geht ihm gut». So gesehen hat die tragische Familiengeschichte der Tetra-Pak-Erben – nach der jahrzehntelange Verstrickung in die Sucht – doch noch ein Happyend gefunden.