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Literatur Weltbild-Pleite: Verschlafene Marktentwicklungen rächen sich

Das katholische Verlagsunternehmen Weltbild steht vor der Pleite. Die Arbeitsplätze von 6000 Mitarbeitern sind in Gefahr, seit die deutschen Bischöfe weitere Millionen-Zuschüsse verweigert haben. Einschätzungen dazu von Buchmarkt-Experte Holger Ehling.

Das Verlagsunternehmen Weltbild hat kürzlich einen Insolvenz-Antrag gestellt. Der Verlag gehört den deutschen Bistümern. Gibt es ein vergleichbares Unternehmen mit religiös-weltanschaulicher Bindung in Deutschland?

Ursprünglich kommt auch der Bertelsmann-Konzern aus der pietistisch-religiösen Tradition. Aber tatsächlich hat sich ausser Weltbild kein anderes Unternehmen so aufstellen und diese grosse Bedeutung erlangen können.

Weltbild ist im deutschsprachigen Buchmarkt eine grosse Nummer, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz. Kumuliert mit den verschiedenen Beteiligungen kommt Weltbild auf etwa 20 Prozent des gesamten Umsatzes, der mit Büchern gemacht wird.

Was hat denn zur Insolvenz geführt?

Zur Person

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Der Journalist und Autor Holger Ehling war unter anderem als Pressesprecher und stellvertretender Direktor der Frankfurter Buchmesse tätig. Er ist Verfasser eines Blogs und einer monatlichen Kolumne in der Zeitschrift «BuchMarkt». Ehling ist zudem Mitbegründer eines Verlages für E-Books.

Seit den 90er-Jahren hat Weltbild die entscheidenden Marktentwicklungen verschlafen, als Amazon den Internethandel revolutionierte. Sowohl Weltbild als auch Bertelsmann Club mit ihrem Katalogversand haben die Zeichen der Zeit damals nicht erkannt. Weltbild hat in den vergangenen Jahren mit enormen Investitionen versucht, dies nachzuholen. Heute entstehen ungefähr 40 Prozent des Umsatzes von Weltbild im digitalen Bereich, allerdings kommt dies zu spät.

Weltbild vertritt eine dezidiert katholische Position in der deutschen Verlagslandschaft, hat sich aber in Widersprüche verwickelt, wegen der Verlagsanteile im Erotik- und Esoterikgeschäft. Hat dieser langjährige Streit zwischen Geschäftsleuten und sittenstrengen Katholiken den Verlag geschädigt?

Der Streit um die Inhalte war sicherlich nicht verkaufsfördernd. Tatsächlich haben die deutschen Bischöfe, die dieses Unternehmen seit den 50er-Jahren betreiben, jahrzehntelang gerne Gewinne für die katholische Kirche abgeschöpft. Erst 2008 sprach sich der damalige Kardinal Meissner aus Köln gegen erotische und esoterische Inhalte aus. Das hat Streit gegeben, aber keine Konsequenzen. Das Verlagsprogramm von Weltbild ist nach wie vor mit solchen Sachen gesegnet: Man findet in den Katalogen von Weltbild heute alles von Büchern über Elektronik bis hin zu Bonsai-Pflanzen oder Unterhosen.

Der Finanzbedarf für die nächsten drei Jahre wird auf 170 Millionen Euro geschätzt, um das Überleben der deutschen Holding zu sichern. Hat Sie diese Zahl überrascht?

Die hat tatsächlich wie eine Bombe in der deutschen Branche eingeschlagen. Eigentlich war man seit dem vergangenen Jahr davon ausgegangen, dass der Zuschussbedarf bei etwa 60 Millionen liegen würde. Und der doch rasant zunehmende Nachschussbedarf war wohl der wesentliche Grund für die deutschen Bistümer zu sagen: «So machen wir das nicht mehr weiter.» Die 60 Millionen, um die es ursprünglich ging, waren bereitgestellt worden, sind aber bisher nicht geflossen. Diese sollen jetzt möglicherweise in die Sozialpläne für Mitarbeiter fliessen, die ihren Job verlieren.

Weltbild bildet mit Hugendubel und Thalia das Spitzentrio im deutschen Buchhandel. Thalia ist auch im Schweizer Markt präsent – werden die Schweizer und Österreicher Ableger von Weltbild wirklich nicht tangiert von der Insolvenz in Deutschland?

Die österreichischen und Schweizer Ableger von Weltbild haben sich heute in einer Presseerklärung geäussert und gesagt, dass sie solvent und schuldenfrei seien. Ob allerdings die Konzernzentrale und der Insolvenzverwalter die Finger weglassen werden von den anscheinend gut gefüllten Kassen in der Schweiz und in Österreich, wage ich zu bezweifeln.

Zudem sind alle drei dieser grossen deutschsprachigen Buchhandelskonzerne finanziell notleidend und haben bereits starke Restrukturierungen angefangen. Man hat in den 90er- und Nuller-Jahren expandiert auf Teufel komm raus, im Wesentlichen kreditfinanziert. Das rächt sich heute. Man hat bei diesen grossen Filialflächen ungefähr 40 Prozent Überhang ausgemacht, das wird jetzt abgebaut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweiz davon unbelastet bleiben wird.

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