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Literatur Wer schläft, rebelliert – und das ist gut so!

«Schlafen kann ich, wenn ich tot bin», sagte der Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Heute sieht es so aus, als ob der Workaholic des Films Recht bekommt. Der Schlaf ist in Gefahr. Das Buch «24/7: Schlaflos im Spätkapitalismus» widmet sich der Ruhe in einer rastlosen Zeit.

Dieser Vogel braucht keinen Schlaf: Die Dachsammer ist eine Sperlingsart, die ohne Schlaf auskommt, oder fast ohne. Sieben Tage lang, sieben Tage ohne Schlaf. Das macht das Tier interessant, für Zoologen ohnehin, aber auch für Ökonomen und Militärs. Die Westküste der USA ist sein Zuhause, und dort ist der Vogel auch unter die Forscher gefallen. Seltsam. Was lässt sich lernen von einer nachtaktiven Spezies, die scheinbar keine Pausen braucht?

Sendehinweis

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Das Buch «24/7: Schlaflos im Spätkapitalismus» ist heute Thema im Literaturclub. Auf SRF 1 um 22:20 Uhr.

Viel, sehr viel, findet der New Yorker Kunstkritiker und Essayist Jonathan Crary. Denn das Tier ist Vorbild für den Lebensrhythmus der Moderne. Atemlos und stets im Takt sind die ökonomisch-technischen Prinzipien, nach denen sich das moderne Leben ausrichtet. Kampf und Konsum sind die Vorgaben, auch für die Arbeitswelt, für das durchgeformte Leben in Werkshallen und Büros.

Der Schlaf zieht sich zurück

Wachheit ist gut, Schlafphasen können verkürzt und optimiert werden. Es sind Leitbilder gegen den inneren Schlendrian, hilfreich auch für Strategen und Pharmahersteller. Denn der Schlaf ist auf dem Rückzug. Er wird nicht mehr gebraucht, ist eher eine Störung im Betriebsablauf, die, wo immer möglich, behoben wird.

Statistisch nimmt die Schlafdauer in den USA kontinuierlich ab. Das Netz ist sowieso im Dauerbetrieb und am Unterschied von Tag und Nacht, hell und dunkel wird gearbeitet. Parabolspiegel in der Umlaufbahn könnten in bestimmten Gebieten der Erde für Dauerlicht sorgen: 24 Stunden, 7 Tage die Woche. 24/7, eine «Zeit ohne Zeit».

Schlaf und Widerstand

Buchhinweis

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Jonathan Crary: «24/7: Schlaflos im Spätkapitalismus», Wagenbach Verlag, 2014.

Da macht der Schlaf Skandal. Er stellt den persönlichen Rückzugsraum, wenn alle am Motiv der Wachheit ausgerichtet sind. Und er ist irgendwie nutzlos. Hier endet für ein paar Stunden der technisch stimulierte Kreislauf aus Kommunikation und Verbrauch. Die Gier nach Leben als Event. Hier ist Pause für das Geld, Auszeit für die Gewinnerwartung. Im Schlaf ist Widerstand, er sei ein «Naturhindernis», findet Jonathan Crary. Von Marx stammt der Begriff, in dem der Marxist Crary ein Potenzial gegen die avancierte Warenwelt sieht.

Nichts wollen, nichts müssen, darum geht es. Erst dann entstehen schöpferische Freiräume, die Crary etwa bei den Surrealisten findet. Schlaf und Traum sind für sie Konzepte der Revolte. Im Schlaf ist Widerstand, im Traum ein Aufbegehren. Davon ist Jonathan Crary überzeugt. In den Welten der Schlaflosigkeit, von Big Data und Neoliberalismus spricht der Amerikaner ein ziemlich einsames, aber gut begründetes Plädoyer gegen die Zeit. Ein Weckruf für den Schlaf. Sympathisch.

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