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Literatur Wie Brecht mit versteckter Hitler-Kritik auf Sendung ging

Pfingsten im Kriegsjahr 1940: Während Hitlers Armeen in Holland und Belgien einmarschieren, sendet das Studio Bern ein neues Hörspiel. Geschrieben hat es Bertolt Brecht. In «Das Verhör des Lukullus» wird Hitler vor das jüngste Gericht gestellt – natürlich ohne den Namen des Diktators zu nennen.

Kaum waren in Deutschland die Nationalsozialisten unter Hitler an die Macht gekommen, flüchteten Zehntausende aus Deutschland. Der Autor der berühmten «Dreigroschenoper» glaubte zunächst, im Exilland Schweiz Zuflucht finden zu können. Doch nach einigen Wochen in Zürich und im Tessin reiste Bertolt Brecht mit seiner Familie von Carona bei Lugano nach Paris und Dänemark weiter. Seine Erkenntnis: «Die Schweiz ist zu teuer, hat keine Städte – eine Theaterdekoration (aber ohne Bühnenarbeiter).»

Nie Parteimitglied, immer politisch

Bertolt Brecht

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1898 in Augsburg geboren und 1956 in Berlin-Ost verstorben. Mit 50 Dramen ist er der meistgespielte Stückeschreiber des 20. Jahrhunderts. Er hat als Erneuerer weltweit die Theaterkunst beeinflusst und auch Film, Fernsehen, Hörspiel und Radio mitgeprägt. Seine Unabhängigkeit war ihm zeitlebens wichtig.

Brecht, dieser kritische Geist und Unruhestifter, wurde von den Nationalsozialisten gehasst, verfolgt und ausgebürgert. Seine Werke landeten im Dritten Reich auf dem Scheiterhaufen und wurden rasch verboten. Das hatte teils mit seiner Weltanschauung und teils mit seinem künstlerischen Anspruch zu tun.

Der verfemte Deutsche mit Linksdrall war nie Mitglied einer politischen Partei. Aber er plädierte als Autor und Theaterregisseur das bisher Bewährte zu überdenken: in Kultur, Gesellschaft und wo auch immer. Er stand dafür ein, den Umgang mit Traditionen und dem «klassischen Erbe» wenigstens auf den Bühnen zu hinterfragen. Gleichzeitig betonte er das Experimentelle in der Kunst, suchte nach alternativen Formen und zeitgemässen Inhalten und kritisierte, wo immer er auch hinkam, die Spielpläne der Bühnen und die gesamte bisherige Kulturpolitik.

Theater, über das man lachen soll

Dabei postulierte er «ein Theater der Neugierigen!». Unermüdlich betonte der Stückeschreiber Brecht, Kunst – auch die Theaterkunst – habe in erster Linie Vergnügen zu bereiten. Und doppelte mit dem programmatischen Satz nach: «Ein Theater, in dem man nicht lachen kann, ist ein Theater, über das man lachen soll.»

Noch heute erfährt der Radiozuhörer, Theaterbesucher oder Leser bei jedem Werk von Bertolt Brecht etwas von seinem Lachen als Widerstand und von seiner Haltung als Unruhestifter, der Fragen an die Gegenwart stellt. Und der den Menschen und die Welt als Prozess sieht, veränderbar und sich dynamisch verändernd.

Trotz Zensur viel Brecht in der Schweiz

In der Schweiz hatten es die neueren antifaschistischen Werke Brechts ganz besonders schwer. Das Land hatte zwischen 1933 und 1945 bei sämtlichen Aufführungen, Radiosendungen und Bücherpublikationen von deutschen Exilautoren auf das politische Umfeld der Nachbarn Rücksicht zu nehmen.

«Das Verhör des Lukullus»

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Das Hörspiel von Bertolt Brecht wurde an Pfingsten im Kriegsjahr 1940 erstmals ausgestrahlt. Es passierte die Medienzensur, weil es als historischer Stoff ausgewiesen wurde. Es ist die Geschichte vom Römer Lukullus, dem «Grössten Feldherr aller Zeiten» (alias Adolf Hitler), der im Reich der Toten eintrifft.

Umso erstaunlicher ist es, dass trotz dieser Umstände das Exilland Schweiz als Ort mit den meisten Ur- und Erstaufführungen von Brecht gilt. Oft bedurfte es einer List, damit die Aufführungen wie «Mutter Courage und ihre Kinder» (1941 am Schauspielhaus Zürich) oder das Hörspiel «Das Verhör des Lukullus» die Nationalsozialisten im Dritten Reich nicht provozierten, und dass doch die Aussage gegen das Hitler-Regime von jedermann verstanden wurde.

«Ästhetik des Widerstandes»

Dafür bedurfte es aufgeschlossener Personen im Hintergrund, die Brechts Anliegen bereits aus der Zeit vor 1933 kannten. Sie verstanden seine Formen einer «Ästhetik des Widerstandes», vermochten sie zu verbreiten und umzusetzen. Im Herbst 1939 waren es der Verlagsleiter Kurt Reiss von Brechts Bühnenverlag, der «Kurt-Reiss AG Basel», und der leitende Radiodramaturg und Regisseur der hochdeutschen Hörspiele in Bern, Ernst Bringolf aus Schaffhausen. Beide lebten in den 1920er-Jahren in Berlin. Bringolf galt in Deutschland als glänzender Sprecher und bekannter Radiopionier, er hatte Kontakte zu den führenden Gegenwartsautoren.

Brecht schickte 1939 seine neuen Manuskripte aus dem schwedischen Exil an Verleger Reiss. Dieser leitete das Stück «Verhör des Lukullus» augenblicklich in das Radio Studio Bern weiter. Dort kam es dank der persönlichen Bekanntschaft mit Ernst Bringolf schnell zur Ausstrahlung.

Die List: Hitler gab es nicht im alten Rom

Literaturhinweis

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Bertolt Brecht: «Werke». Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, herausgegeben von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Aufbau Verlag und Suhrkamp Verlag, 1988-1997.

Das neue Brecht-Hörspiel «Das Verhör des Lukullus» passierte ohne Abstriche die Radio- und Presse-Zensur, die damals vom Armeestab und dem Schweizer Militär ausgeübt wurde. Schliesslich spielt «Das Verhör des Lukullus» im Alten Rom oder vielmehr im Schattenreich. Wie gut aber all die Anspielungen auch von den Radiohörern verstanden wurden, kann – trotz der aktiven Zensur – in den damaligen Presseberichten verfolgt werden. Etwa wenn in der Radiowoche zu lesen ist: «Wir haben dazu wenig zu sagen. Wer es hörte, weiss genau, um was es ging. Es bleibt uns nur die angenehme Pflicht, Autor, Regisseur und Darsteller aufs Beste zu der famosen Leistung zu beglückwünschen.»

Mit dieser Ursendung hatten Ernst Bringolf und sein Berner Hörspiel-Ensemble in jedem Fall ausserordentlichen Mut bewiesen und – gewollt oder ungewollt – einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass Brechts Werke in den folgenden Spielzeiten auch wieder ausserhalb des Arbeitertheaters und der Volkshäuser am Zürcher Schauspielhaus gespielt werden konnten.

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