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Witold Gombrowicz neu entdeckt Der Roman «Pornographie» begeistert – auch ohne Sex-Szenen

Ein Buch, das die Sehnsucht nach der Sinnlichkeit junger Menschen ins Zentrum stellt: Der Zürcher Kampa Verlag legt die Groteske «Pornographie» des polnischen Autors Witold Gombrowicz neu auf.

Der Schriftsteller Witold Gombrowicz zählt zu den wichtigsten polnischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Geboren und aufgewachsen in Polen, verbrachte er sein weiteres Leben im Exil – in Paris, Argentinien, Berlin und später Südfrankreich. Er galt als Humorist und Provokateur, wurde als «Seiltänzer» und «Hampelmann» bezeichnet – auf jeden Fall war er eine der originellsten Stimmen seiner Zeit.

Nun ist im Zürcher Kampa Verlag sein Roman «Pornographie» neu aufgelegt worden, in der Übersetzung von Renate Schmidgall. Ein Buch, das erstmals 1960 erschienen ist, aber zeitlose Gültigkeit hat.

Der polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz raucht eine Pfeife
Legende: Die liebsten Stilmittel für seine Romane waren die Satire und Groteske – er selbst bezeichnete seine Bücher als «Antiromane». Getty Images / ullstein bild / Kontributor

Eine unterhaltsame Kuppel-Geschichte

Es geht um das Alter und um die Jugend. Zwei alternde Herren aus Warschau – Witold und Fryderyk – versuchen während der deutschen Besatzung 1943 auf einem polnischen Landgut, den schönen jungen Karol mit Henia zu verkuppeln, der 16-jährigen Tochter des Gutsbesitzers.

Dabei sind Karol und Henia in keiner Weise aneinander interessiert – aber Witold und Fryderyk haben sich in den Kopf gesetzt: Wenn diese beiden jungen Menschen sich ineinander verlieben, dann färbt diese junge, frische, vermutlich leidenschaftliche Liebe auf die beiden älteren Herren ab. Sie setzen daher alles daran, Henia von ihrem Verlobten abzulenken und sie mit Karol zusammenzubringen.

Das alles ist höchst unterhaltsam, denn Witold und Fryderyk sind ruchlos und durchtrieben. Sie ziehen die Fäden und lassen Henia und Karol wie Puppen tanzen à la «Gefährliche Liebschaften» von Choderlos de Laclos.

Feine Details zwischen den Zeilen

Das Buch ist raffiniert gemacht, mit zahlreichen Ebenen und Verweisen. Der Krieg beispielsweise kommt nur als Hintergrundrauschen vor, als eine Art Echo. In erster Linie spürt Gombrowicz den menschlichen Sehnsüchten in einer moralfreien und gesetzlosen Zeit nach.

Nichts ist zufällig in diesem Roman. Zwischendurch blitzen kleine scharfe Sätze auf. Die Gäste des Landguts besuchen an einer Stelle eine Kleinstadt namens Ostrowiec. Dort fällt dann die Bemerkung, «dass irgendeine Abwesenheit fühlbar wurde – es gab nämlich keine Juden». Wenn man bedenkt, dass Ostrowiec sich anhört wie Auschwitz, zeigt diese ganz kleine Passage, wie genau und wie präzise Gombrowicz arbeitet.

«Pornographie» ist ein Buch über Verrat und Schuld, über Einbildung und Fantasien, Intrigen und Inszenierung, Wahrheit und Wirklichkeit, Pflicht und Gehorsam. Diese abstrakten Begriffe dekliniert Gombrowicz sehr anschaulich und auch unterhaltsam in einer Art theatralem Kammerspiel durch. Er führt uns damit vor Augen, wie zeitlos und universell ein moderner Klassiker wie dieser sein kann.

Nomen ist nicht immer Omen

Mit zwei Morden im weiteren Verlauf der Handlung reichert der Autor seine Groteske, die die Sehnsucht nach der Sinnlichkeit junger, unreifer Menschen ins Zentrum stellt, mit krimihaften Zügen an. Das ist bedeutsam für die Grundaussage des Buches: Der Mensch strebt zwar nach dem Ganzen und Wahren, also nach Reife, bleibt aber immer voller Sehnsucht nach Jugend und Unvollkommenheit.

Buchhinweis

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Witold Gombrowicz: «Pornographie». Kampa, 2022. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.

Wer allerdings erwartet, dass Pornographie drin ist, wo «Pornographie» draufsteht, wird bei diesem Buch nicht fündig. Es geht um die Pornographie von Gedanken und Handlungen, um die Zurschaustellung moralischer Verwerflichkeit.

An einer Stelle des Buches schreibt Fryderyk in einem Brief an Witold: «Ich gehe der Linie der Spannungen nach, ich gehe der Linie der Erregungen nach.» Treffender könnte man das Leseerlebnis dieses grossartigen Romans nicht beschreiben.

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SRF 1, Literaturclub, 31.05.2022, 22:25 Uhr

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