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Wörterbuch der Bildungssprache Die modernen Bildungsbürger kommen

Autor Gerhard Augst hat im Buch «Der Bildungswortschatz» 2000 Wörter und Wendungen der Bildungssprache zusammengestellt. Er erklärt auch, wie sich diese Begriffe gewandelt haben und immer weniger verwendet werden.

Wissen Sie, was ein Damaskuserlebnis ist? Oder können Sie jemandem erklären, was der Unterschied zwischen Amnestie und Amnesie ist? Wenn ja, Gratulation. Sie sind ein klassischer Bildungsbürger. Und nun die schlechte Nachricht: Ihre Art ist vom Aussterben bedroht. Sie werden verdrängt vom modernen Bildungsbürger.

Das jedenfalls attestiert der Sprachwissenschaftler Gerhard Augst in seinem Buch «Der Bildungswortschatz». 3000 Wörter tragen im Duden-Universalwörterbuch die Markierung «bildungsspr.».

Augst trug diese Wörter alphabetisch zusammen, ordnete sie in bunten Tabellen und Diagrammen und stellte fest: Der Bildungswortschatz lässt sich in einen klassischen und einen modernen Bildungswortschatz unterteilen. Wobei der moderne Bildungswortschatz den klassischen zunehmend ablöst.

Humanistisches Erbe

Ob ein Wort zum klassischen oder modernen Bildungswortschatz gehört, hängt mit der Quelle zusammen. Im klassischen Bildungswortschatz ist das die griechische Mythologie und Dichtung sowie die Bibel.

Wer Sisyphusarbeit verrichtet oder eine Hiobsbotschaft überbringen muss, bedient sich bei Wörtern oder Wendungen, die sich auf mythologische oder biblische Geschichten beziehen.

Technik auf dem Vormarsch

Im 20. Jahrhundert tritt an die Stelle der antiken Mythen und biblischen Geschichten die Naturwissenschaft und Technik. Im Zuge der Industrialisierung und Digitalisierung sind es Konzepte aus den modernen Wissenschaften, die sich im übertragenen Sinn (bildungsspr.: metaphorisch) für andere Dinge verwenden lassen.

Katalysatoren sind heute beispielsweise nicht nur unter der Autohaube zu finden, sondern auch als mobilisierende Kraft innerhalb einer Gesellschaft. Und den «Lackmustest», der aus der Chemie stammt, müssen heute auch Politikerinnen und Politiker bestehen.

Neben dem Wandel der akademischen Ausrichtung an Universitäten und Hochschulen hat sich auch die sprachliche Herkunft von Bildungswörtern verändert. Waren Griechisch, Latein und Französisch die Sprache einer kleinen Minderheit, so ist heute Englisch die erste – und für viele die einzige – Fremdsprache.

Buchhinweis

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Gerhard Augst: «Der Bildungswortschatz. Darstellung und Wörterverzeichnis», 2019, Georg Olms Verlag.

Die digitale Kommunikation und Globalisierung trugen zum Siegeszug des Englischen bei, sodass wir heute «up to date» sind statt «à jour» und uns um «Sponsoren» bemühen statt um einen «Mäzen».

Sprache als Politikum

Das Buch ist nicht zuletzt deshalb verdienstreich, weil es in gut verständlichem Bildungsdeutsch den Lesenden auf Augenhöhe begegnet. Augst nimmt darin eine in mehrfacher Hinsicht kritische Position ein: Einerseits gegenüber einer elitären Bildungssprache, mit der man vor allem imponieren und sich als einer gehobenen Gesellschaftsschicht zugehörig ausweisen will.

Andererseits gegenüber der Tendenz, dass Bildungssprache in der öffentlichen Kommunikation zunehmend verpönt wird und die Umgangssprache in vielen Medien, Fernsehsendungen und sozialen Netzwerken zur Normalität geworden ist. Beides ist dem Sprachliebhaber Gerhard Augst zuwider.

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