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Zum Tod von Cormac McCarthy Der Autor des düsteren Amerika ist nicht mehr

In «No Country for Old Men» oder «The Road» erkundete er eine apokalyptische Welt der Gewalt und der Aussenseiter. Nun ist der US-amerikanische Romancier mit 89 Jahren gestorben.

Makaber, aufwühlend, grotesk – das literarische Werk von Cormac McCarthy wirft ungeschminkte und verstörende Blicke auf die menschliche Existenz. Da wird vergewaltigt, gemordet und skalpiert. Figuren begehen Inzest. Andere werden zu Brandstiftern oder Kannibalen.

Er kenne keine andere Autorenperson, die sich «so intensiv mit der grossen Sinnfrage auseinandergesetzt» habe, sagt der deutsche Übersetzer Nikolaus Stingl. Er hat zahlreiche der gut zehn Romane von Cormac McCarthy ins Deutsche übersetzt.

«In seinen Romanen irren Sinnsucher durch ein Leben, das von grund- und regelloser Gewalt bestimmt ist». Jede Sinnsuche würde infrage gestellt: «McCarthys Bücher sind unglaublich hoffnungslos».

Einer der Grossen

Am 13. Mai ist Cormac McCarthy in seinem Haus in Santa Fe im Bundesstaat New Mexico verstorben, gut einen Monat vor seinem 90. Geburtstag. Cormac McCarthy gehört zu den ganz Grossen der US-amerikanischen Literatur. Er wurde oft in einer Reihe mit Autoren wie Philip Roth, Don DeLillo und Thomas Pynchon genannt. Zudem galt er als heisser Anwärter auf den Nobelpreis.

Mann mit Prinz Eisenherz-Frisur steht in Flur und schaut grimmig
Legende: Faszination für das Böse: Cormac McCarthys Romane handeln oft vom Abgründigen – so auch der Roman «No Country for Old Men». 2007 wurde er verfilmt. Javier Bardem spielt darin den kaltblütigen Killer Anton Chigurh. IMAGO / EntertainmentPictures

Allerdings meldeten sich immer wieder auch kritischen Stimmen: McCarthys Werk seien von einem hohlen Pathos durchdrungen und einseitig männlich. Tatsächlich finden sich in den Büchern nur wenige bemerkenswerte Frauengestalten. McCarthy schildert zumeist männliche Aussenseiter.

Späte Meriten

Der Schriftsteller selbst lebte zurückgezogen. Öffentliche Auftritte waren ihm ein Graus. In einem Interview mit der Talkshowmoderatorin Oprah Winfrey, einem der wenigen TV-Auftritte des Autors, zeigte er sich überaus zurückhaltend.  Er mochte nicht über seine Romane sprechen. Was es zu sagen gebe, so erklärte er mit seiner sanften Stimme, stehe zwischen den Buchdeckeln.

Bis zum Erfolg war es ein langer Weg. McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Tennessee auf. Seinen Erstling «Der Feldhüter» über ein ungesühntes Tötungsdelikt veröffentlichte er 1965. Die Resonanz beim Publikum blieb bescheiden.

McCarthy-Übersetzter Nikolaus Stingl im Interview

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SRF: Was macht Cormac McCarthy in Ihren Augen einzigartig?

 Nikolaus Stingl: Seine Konsequenz. Ich kenne keinen anderen Autor, der sich so intensiv mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob das Böse dem Menschen von Anbeginn an inhärent sei.

McCarthys Antworten sind nicht eben erbaulich …

Letztlich sind es alles unglaublich finstere und hoffnungslose Bücher. Es gibt nur ganz wenige Momente, in denen so etwas wie Hoffnung aufscheint.

Sein Stil hat sich entwickelt. So hat er beispielsweise mehr und mehr auf die Interpunktion verzichtet, was zum Sound dieser Sprache beiträgt. Wie herausfordernd war das Übertragen ins Deutsche?

Die Sprache ist auf den ersten Blick sehr einfach. Aber gerade darin liegt die Herausforderung: Wie McCarthy muss man die Worte auch beim Übersetzen sehr bewusst setzen. In dieser Sprache sind alle Schnörkel ausgetrieben. In dieser Kargheit, die sehr bewusst erzeugt ist, entwickelt die Sprache ihre enorme Suggestivkraft.

Woran denken Sie konkret?

Beispielsweise an seine Landschaftsbeschreibungen. Sie sind grandiose Literatur. McCarthy schreibt drei, vier Sätze und eine bestimmte Landschaft steht einem sofort vor Augen.

McCarthy lehnte den Mainstream ab und wurde zum Mainstream. Wie geht das zusammen?

Er wurde nicht deshalb zum Bestsellerautor, weil er dies kalkuliert betrieben hätte. Er ist sich treu geblieben und war gut. Und das wurde dann irgendwann von weiteren Kreisen bemerkt.

Einer breiteren Leserschaft wurde er erst 1992 mit «All die schönen Pferde» bekannt. Für das Epos über den Verlust des grossen amerikanischen Traums der grenzenlosen Freiheit erhielt McCarthy den «National Book Award». Nun endlich stellte sich auch der kommerzielle Erfolg ein.

Seine Werke spielten ab jetzt vorwiegend im wüstenhaften Südwesten der USA. Auch die Sprache veränderte sich. McCarthy habe «seine Bücher mehr und mehr verdichtet und Überflüssiges weggelassen», erklärt Nikolaus Stingl.

Dank Hollywood zum Welterfolg

Ein weiterer Grosserfolg wurde der Drogenthriller «Kein Land für alte Männer» – auch dank der mit vier Oscars ausgezeichneten Verfilmung durch die Gebrüder Coen 2007. Zu einem Weltbestseller geriet schliesslich das mit dem Pulitzer-Preis gekrönte dystopische Werk «Die Strasse» über ein Amerika nach dem Zusammenbruch der Zivilisation.

Ein Mann und ein Junge schieben einen Einkaufswagen durch eine winterlich-depressive Landschaft
Legende: Düster und postapokalyptisch: In «Die Strasse» von Cormac McCarthy versucht ein Vater-Sohn-Duo nach dem Zusammenbruch der Zivilisation zu überleben. Der Roman wurde 2009 verfilmt. IMAGO / Allstar

Mit Cormac McCarthy verliert die Literatur einen Ausnahmekünstler, dem es laut Nikolaus Stingl «immer um die ganz grossen Themen ging». Der Autor blieb bis ins hohe Alter ein schonungsloser Realist. Nie erlag er der Versuchung, seine Stoffe zu verklären.

Sein sprachlicher Stil war zwar extravagant und expressiv, blieb aber stets verständlich und präzis. McCarthy folgte selbst keinen Trends – und wurde, vermutlich gerade dadurch, selbst zum Trend.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 14.06.2023, 08:15.

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