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100 Jahre Astor Piazzolla Das widersprüchliche Leben des Tango-Königs

Astor Piazzolla hat den Tango revolutioniert. Er wollte, dass man ihn dafür liebt. Doch er erhielt auch Morddrohungen. Am Donnerstag wäre er 100 Jahre alt geworden.

Er war ein Getriebener. Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Immer wieder alles über den Haufen werfen und neu anfangen. So tickte der Komponist und Musiker Astor Piazzolla, der sich auch nicht scheute, alle seine Partituren zu verbrennen, wenn er wieder mal alles ganz anders machen wollte.

Piazzollas Geschichte beginnt mit dem Bandoneon, einer Ziehharmonika. Dieses Instrument würden nur «Verrückte» erlernen, sagte Piazzolla selbst. Er beherrschte es wie kein anderer.

Mann mit Schnauz und Handorgel
Legende: Der «King of Tango» mit seinem Bandoneon. Hier bei einem Auftritt am Montreux Jazz Festival, Juli 1985. KEYSTONE/ Str

Prominente Kritikerin

Das Bandoneon, entwickelt vom deutschen Instrumentenhersteller Heinrich Band, fand seinen Weg von Deutschland über den Ozean nach Argentinien. Man liebte es in den Bordellen und Cabarets am Hafen von Buenos Aires.

Astor Piazzolla hat es in New York kennengelernt, wo er mit seiner Familie lebte, bis er 17 Jahre alt war. Sein Vater, ein Friseur, schenkte es ihm. Doch zu Beginn seiner Laufbahn widmete sich Piazzolla lieber dem Jazz und der klassischen Musik.

Während eines Studienaufenthaltes in Paris erlebte er mit dem eigentümlichen Geschenk seines Vaters sein oft zitiertes Schlüsselerlebnis: Die grosse Komponistin Nadia Boulanger forderte ihn auf, ihm auf seinem Bandoneon vorzuspielen. Sie war nicht sehr begeistert von Piazzollas Kompositionen, die ihr zu sehr nach Strawinsky und Bartók klangen.

Obwohl Piazzolla seit Monaten das Instrument nicht mehr berührt hatte, tat er, was sie verlangte. Als er einen Tango spielte, soll sie ausgerufen haben: «Das ist der wahre Astor Piazzolla!».

Morddrohungen von Tango-Traditionalisten

So war wohl der Tango Nuevo geboren, der die Menschen in Argentinien erst mal verstörte: Nicht mehr tanzbar, mit ruppigen Attacken, Klangverfremdungen, Perkussion und einem typischen langsamen Mittelteil: «knackiges Moll-Thema trifft unwiderstehliche Dur-Kantilene» lautete die neue Formel.

Piazzolla wurde von Traditionalisten für diesen neuen Tango angefeindet. Das ging bis zu Morddrohungen. Piazzolla machte weiter, wollte Erfolg. Er wollte, dass man ihn liebt. Sowohl die Jazzliebhaber als auch die Tango-Traditionalisten und die Populärmusik-Produzenten.

Weitermachen, trotz allem

In seiner Karriere gab es deshalb auch Ausrutscher – musikalischer wie politischer Art. Etwa seinen Beitrag zur Fussball-Weltmeisterschaft 1978 : Kommerzielle Kitschmusik.

Oder das Mittagessen mit dem argentinischen Diktator Jorge Rafael Videla , vor dessen Militärdiktatur Piazzolla zwar nach Italien geflüchtet war, wegen Videlas Einladung aber seine Heimat wieder besuchte.

Mann mit Schnauz und Akordeon
Legende: Ein Musiker legt niemals sein Instrument ab: Konzert im Jahr 1989. IMAGO / BRIGANI-ART

Zwiespältig auch, dass er seinem Sohn Daniel Piazzolla offenbar immer wieder die Liebe entzog – radikal und wegen kleiner Differenzen.

1992 ist Astor Piazzolla gestorben. Bis heute gross machte ihn sein unbedingter Drang, weiterzumachen in seiner Mission, den Tango nicht nur am Leben zu erhalten, sondern ihn zu revolutionieren und so der ganzen Welt zu schenken. Das ist ihm gelungen.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 11.3.2021, 17:58 Uhr

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