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Vom Berg ins Tal: Der Jazz hatte zuerst in den Alpen Erfolg
Aus Kultur-Aktualität vom 14.02.2024. Bild: Margrit Schmidhauser
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100 Jahre Jazz-Geschichte Wie Jazz seinen Weg über die Berge in die Schweiz fand

Ohne Jazz kein Pop: Das Buch «Hot! Jazz als frühe Popkultur» von Autor Sam Mumenthaler zeichnet ein fast vergessenes Kapitel der Schweizer Musikgeschichte nach.

Sich die Nächte um die Ohren schlagen, die Füsse wundtanzen zu wilder Livemusik: Nach dem Ersten Weltkrieg ist das ein dringendes Bedürfnis. Dafür kommt Jazz wie gerufen und lässt Europa die harten Kriegsjahre abschütteln. Auch in der Schweiz fegen die neuen Klänge die geltenden Etiketten weg, schreibt Sam Mumenthaler in «Hot! Jazz als frühe Popmusik».

Wer ist der Buchautor Sam Mumenthaler?

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Sam Mumenthaler ist 1961 in Bern geboren. Der Rockdrummer ist bekannt als Gründungsmitglied von «Züri West». Als Rock- und Popmusikchronist hat er mehrere Bücher herausgegeben, mit Schwerpunkt 1960er-Jahren, Rock- und Beatmusik.

Jazz ist Pop

Auch wenn die etablierte Gesellschaft vorerst die Nase rümpft: Jazz ist die Musik der Stunde, und da ist vieles mitgemeint. «Jazz ist ein Sammelbegriff. Dazu gehört alles, was nicht Ländler oder europäische Musikkultur ist», sagt Mumenthaler.

Männer in weissen Blazer halten Instrumente und stehen in einer Reihe auf der Bühne.
Legende: Time to Swing: Die Jazz-Band Swing Pulis unter der musikalischen Leitung von Hans Moeckel ist 1939 in St. Gallen entstanden. Swissjazzorama

Am stärksten ist der Einfluss des Swing – afroamerikanische Tanzmusik, die im Ersten Weltkrieg mit den US-Truppen nach Europa schwappt. Die neuen Töne werden zur Jugendbewegung. Diese zelebriert die US-Kultur auch in Mode und Accessoires. Doch die Schweiz muss zu ihrem Glück ein wenig gezwungen werden.

Tanzorchester spielten den Alpen-Soundtrack

Der Jazz erobert die Schweiz über die touristischen Zentren in den Bergen. Dort wollen die Kurgäste zur neuen Tanzmusik feiern. Um die gut betuchte Klientel zufriedenzustellen, satteln die Musiker um.

The Bingo Boys
Legende: Jazz war früher vor allem männlich. «The Bingo Boys» sorgten damals für Stimmung. Collection Roland Hippenmeyer

Die hohe Nachfrage bestimmt das Angebot: Es entsteht eine fruchtbare Szene von Schweizer Tanzorchestern. Mit ihrer Version von Jazz begeistern die Bands mehr und mehr Menschen.

Inwiefern handelt es sich um kulturelle Aneignung? Sam Mumenthaler betrachtet die Musik als Teil des Lebensgefühls. «Und ich denke, ein Lebensgefühl kann man nicht kopieren. Entweder man hat es, oder man hat es nicht.»

Frauen in Uniformen mit Schweizer Wappen stehen in einer Reihe auf der Bühne.
Legende: Die Jazz-Bands waren überwiegend männlich besetzt, doch es gab auch Ausnahmen – wie das Swiss Ladies Orchester. Collection Roland Hippenmeyer

Den Soundtrack zum neuen Lebensgefühl gibt es in den 1920er-Jahren nur live. Damit lässt sich gutes Geld verdienen. Die Musiker – damals überwiegend männlich – arbeiten sehr hart. «Ein Engagement bedeutete acht bis zwölf Stunden Arbeit, sieben Tage die Woche – ohne Ferien», erklärt der Musikchronist.

In dieser Branche ist der Geschäftssinn Treiber: «Für die Gäste aufspielen, das war der alleinige Zweck jener Unterhaltungsorchester». Aber auch, wenn sie keine eigene Musik erfinden: Unterschätzen sollte man die Schweizer Tanzorchester nicht.

Elvis hat das Rad doch nicht erfunden

Die Musiker folgten den aktuellen Trends und spielten fürs breite Publikum. Darum sind die Unterhaltungsorchester von der Geschichtsschreibung oft übersehen oder sogar belächelt worden. «Dabei waren gerade sie für viele Menschen am prägendsten. Das waren die Bands, zu denen man live tanzen konnte.»

Ein Saxofonist und zwei tanzende und elegant angezogene Paare feiern in Arosa.
Legende: Der deutsche Saxofonist Ernst Höllerhagen gibt in Arosa den Takt an. Archiv E. Dieter Fränzel

Dass die frühen Tanzorchester die Bühne geebnet haben für die Pop- und Rockmusik der Schweiz, ist für den Musikchronisten Sam Mumenthalter eine Entdeckung: «Als Kinder der 1960er-Jahre hatten wir immer das Gefühl, dass die Beat-Bands – und vielleicht auch Elvis – das Rad erfunden hätten. Doch je mehr ich recherchiert habe, desto mehr habe ich gemerkt: Von nichts kommt nichts.»

Oder mit anderen Worten: Musik muss einer breiten Masse einfahren, damit sie das Potenzial hat, etwas zu verändern.

Buchhinweis

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Sam Mumenthaler: «Hot! Jazz als frühe Popkultur». Zytglogge Verlag, 2024.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 14.02.2024, 17:20 Uhr.

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