«It’s been a long time, and we are still not free», heisst es zu Beginn des experimentellen Musiktheaters des Komponisten Philip Venables und seines Regiepartners Ted Huffman. Es ist eine der sechs grossen Produktionen im Eröffnungsreigen des diesjährigen Festivals in Aix-en-Provence.
Kit Green, non-binäre Performer-Person, führt auf der Bühne des Pavillon Noir durch das abwechslungsreiche Stück. Der markige Titel: «The Faggots and Their Friends Between Revolutions», zu Deutsch: «Die Schwuchteln und ihre Freunde zwischen Revolutionen».
Es ist die Vertonung des gleichnamigen queeren Kulturbuches von Larry Mitchell, das schon 1977 mit lakonischer Sprache die Gesellschaft aus queerer Perspektive erklärte.
Techno trifft auf Countertenor
Das Buch benennt neben sexueller Selbstbestimmung auch soziale Ungleichheiten, das Doppelleben vieler queerer Menschen sowie deren Diskriminierung. Auch deshalb das oft abwertend verwendete Wort «Faggots» im Titel und dessen ironische Brechung im Stück.
Venables, er wurde für seine aufwühlenden Werke bereits mehrfach ausgezeichnet, bringt nun Ausschnitte des Buches auf die Bühne, ergänzt um Partien der neueren LGBTQIA-Geschichte. Musikalisch ist es eine temporeiche Collage: Techno-Beats und frühbarocker Countertenor-Gesang können unmittelbar aufeinander folgen.
Das äusserst diverse Ensemble besteht aus 15 Musizierenden, die singen, improvisieren, sprechen, tanzen, energisch performen und die Bühne mit Instrumenten und Stühlen selbst umgestalten.
Genauso vielfältig sind die Kostüme: Fussballerinnen-Outfit, einfacher Alltags-Look, Plissée-Jupe oder Bondage-Harness: Alles ist möglich. Die musikalische Gesamtleitung hat die britische Dirigentin Yshani Perinpanayagam, die meist stehend an einem der Tasteninstrumente das Ensemble zusammenhält.
Gepflegter Gossensprech
Reizvoll ist, dass die teils sehr explizite Sprache mit Ausdrücken wie «faggots», «fuck» oder «tasty orgasm juice» auch genüsslich und im gepflegtestem Operngesang dargeboten wird.
Ein Höhepunkt ist der Moment, in dem Kit Green zum Mitsingen auffordert: «Helfen Sie, die Männer (also: das Patriarchat) zu verspotten» – was das Publikum auch lustvoll tut.
Der Liedtext entstammt ebenfalls der Buchvorlage und wird Zeile für Zeile gemeinsam einstudiert. Er dreht sich darum, welcher Teil der Gesellschaft Zugang («the key») zu allen Möglichkeiten hat und diesen verwaltet. Zum Schluss dieser Einlage halten die Zuschauenden unter Jubel ihre Schlüssel in die Luft.
Die so bunte wie eindringliche Produktion führt vor Augen, dass auch fast 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Buches – und trotz vieler rechtlicher Errungenschaften – queere Menschen vielerorts immer noch nicht frei sind, und dass Angriffe, insbesondere gegenüber trans und non-binären Menschen, gar zunehmen.
Mehr Zeitgeist geht nicht
Auch indem er dieses Stück prominent aufs Programm setzte, zeigt Intendant Pierre Audi sein Gespür für zeitgemässe Themen. Diversität ist schon länger selbstverständlich in den Festivalprogrammen von Aix, höchstes musikalisches Niveau sowieso.
In Sachen Experimentierfreude, Überraschung und Innovation hat dieses Festival nun die Nase klar vorn unter den grossen Opernfestivals, auch vor der Musiksparte der altehrwürdigen Salzburger Festspiele.