Anfang der 1970er-Jahre ist Aretha Franklin auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten und ihrer Popularität. Die «Queen of Soul» hat fünf sehr erfolgreiche Jahre hinter sich, mit Hits wie «Respect» oder «Think». Wie das damals üblich war, wurde diese Phase mit zwei Live-Alben abgebildet. Es sind zwei komplett unterschiedliche Dokumente des Schaffens der Sängerin.
«Live at Fillmore West», 1971
Zuerst auf die weltliche Bühne: Im März 1971 gastiert Aretha Franklin im Fillmore West in San Francisco. Es ist ein prestigeträchtiger Auftritt im Rocktempel, der zudem für die Nachwelt aufgenommen werden soll. Begleitet wird Franklin dabei nicht von ihrer üblichen Band, sondern von King Curtis und den Memphis Horns, einer mit allerlei Stars besetzten Truppe. Als Gäste zudem dabei: Keyboard-Veteran Billy Preston und Ray Charles.
Stimmliche Explosion und Kampfansage
Was sich bereits auf den Studioaufnahmen zeigt, wird hier auf beinahe unwirkliche Art demonstriert: Aretha Franklin ist ein Energiebündel, eine förmlich stimmliche Explosion. Den Einstieg macht die pre-feministische Kampfansage «Respect», welche die Band in furiosem Tempo vorträgt. Franklin lässt sich mittragen und surft über der brodelnden Musik.
Power bis zum Schluss
Ihre weiteren Hits lässt Franklin grösstenteils aus, stattdessen macht sie sich weisse Pop-Stücke zu eigen: Paul Simons «Bridge Over Troubled Water» wird zur Gospel-Hymne, «Eleanor Rigby» von den Beatles ein treibendes, funkiges Stück Soul Music. Genauso energiegeladen geht es bis zum Schluss weiter. Am Ende fühlt man sich ebenso zufrieden und verausgabt wie das hörbar mitgerissene Publikum.
«Amazing Grace», 1972
Eine andere Aretha Franklin gibt es auf dem folgenden Live-Album «Amazing Grace» vom Januar 1972. Die Bühne ist die New Temple Missionary Baptist Church in Los Angeles. Kein unüblicher Schritt für eine Soul-Sängerin, denn Aretha ist wie viele ihrer Zeitgenossen aus diesem Stil ein Kind der Kirche. Ihr Vater Clarence LaVaughn Franklin war ein bekannter Baptistenprediger. Sie sang mit ihren beiden Schwestern im Chor.
Musik-Rausch im Gottesdienst
«Erinnert Euch daran, dies ist ein Gottesdienst», sagt Reverend James Cleveland wie zur Warnung vor zu viel Ekstase und fährt fort: «Wenn etwas schief gehen sollte, schreit Ihr bitte Amen!»
Was dann folgt, ist eine eindringliche Performance, eine andere Art musikalischer Ekstase als noch im Fillmore West. Es geht um Beziehungen – zu Gott, zur Gemeinschaft.
Band, Kirchenchor – und Franklins Stimme
Die musikalische Darbietung ist packend: eine solide Begleitung der fast gleichen Band wie im Fillmore, dazu ein mächtiger Kirchenchor und darüber diese vor Gefühl überbordende Stimme, die alles beherrscht: Ruhige Songs wie Marvin Gayes «Wholy holy» (einer der wenigen aus dem Kanon der populären Musik) wechseln mit intensiveren Passagen, auf die jedes dieser langgezogenen Stücke zustrebt.
Erfolg für das Live-Album aus der Kirche
«Amazing Grace» wurde zum Überraschungserfolg: Das Album wurde mit einem Grammy ausgezeichnet und ist bis heute das meistverkaufte Live-Album der Gospelgeschichte. Und vor allem der grösste Bestseller in Aretha Franklins 60-jähriger Karriere.
Aretha Franklin auf dem Karriere-Höhepunkt
Beide Alben zusammen zeigen, wie nahe sich die religiöse Musik des Gospels und die weltliche Musik des Souls eigentlich sind. Und sie zeigen eine der grossartigsten Sängerinnen der Geschichte auf ihrem Höhepunkt.
Sendungen:
Radio SRF 2 Kultur, Vorabendprogramm, 24.3.2017, 16 Uhr
Radio SRF 2 Kultur, Jazz Collection, 28.3.2017, 21 Uhr