Die Musikindustrie? «Ein grosses Güllenloch!», findet Joni Mitchell 2002 und zieht sich aus dem Musikbusiness zurück. Nicht ohne vorher auch die Musik allgemein verflucht zu haben: «I hope it all goes down the crapper» – die Musik soll vor die Hunde gehen. Oder, wörtlich übersetzt, ins Güllenloch.
2007 erscheint dann doch noch ein letztes Studioalbum, beim Label von Starbucks. Ausgerechnet.
Aber offenbar garantiert ihr Starbucks völlige künstlerische Freiheit. Joni Mitchell kann sich absetzen vom restlichen Musikbusiness, das sie fünf Jahre vorher so scharf verurteilt hat, und einen eigenen Weg gehen.
Auf eigenen Beinen stehen
Der eigene Weg, das war und ist das Lebensthema von Joni Mitchell. Als kleines Mädchen spielt sie lieber mit den Jungs und eckt an damit. Als eine heftige Polio-Erkrankung die 9-jährige Joni ins Spital zwingt, lautet die Prognose: Sie würde nie mehr laufen können. Aber Joni Mitchell kommt wieder auf die Beine.
Mit 19 wird sie als junge Kunststudentin ungewollt schwanger. Den Vater zu heiraten steht für sie ausser Frage. Sie gibt das Kind zur Adoption frei, ein traumatisierendes Erlebnis. Um sich eine Existenz aufzubauen, heiratet sie schnell einen andern, den Folk-Sänger Chuck Mitchell.
Chuck Mitchell will unbedingt als Duo mit ihr auftreten. Sie eher nicht. Als Joni Mitchell das Duo auflöst, wird es auch in der Beziehung bald düster.
Ihre Lebensthemen werden zu Musik
Erleuchtet wird Joni Mitchell dafür vom Dylan-Song «Positively 4th Street». Sie erkennt: Man kann über alles schreiben in einem Song. Genau das macht sie von da an selbst.
Ihre Themen? Die hat sie bereits. Das Gefühl, von gesellschaftlichen Konventionen gefangen zu sein. Sich immer wieder davonmachen, um diesen Konventionen zu entkommen. Die Sehnsucht nach Liebe. Und die noch stärkere Sehnsucht nach Freiheit.
Die Musik sprudelt nur so aus ihr heraus. Die ersten fünf Alben gibt sie im Jahrestakt heraus. Auf dem dritten, «Ladies Of The Canyon», liefert sie 1970 den Song für eine ganze Generation: «Woodstock» .
Mit «Blue» (1971) setzt sie sich zum ersten Mal ein Denkmal. Generationen identifizieren sich mit dieser intensiven Stimme, den umwerfend schönen Texten, den hinreissenden Songs. Und Joni Mitchell? Sie will nichts wie herunter vom Sockel dieses Denkmals.
Von Folk zu Rock zu Jazz
Das macht sie, indem sie mit einer Band zusammenspannt. Das Album «Court & Spark» (1974) hat viel mehr mir Rock’n’Roll als mit Folk zu tun, und wird ihr erfolgreichstes Album überhaupt. Aber auch jetzt liegt es Joni Mitchell fern, auf irgendwelchen Sockeln still zu stehen.
Teil der Band zu sein, «be one of the boys», das wollte sie schon als kleines Mädchen. Also schart sie hervorragende Jazzmusiker um sich, allen voran den Bassisten Jaco Pastorius. Sein grooviger und singender Sound und ihre klare Stimme mischen sich perfekt. Joni Mitchell ist auf Alben wie «Mingus» plötzlich Leadsängerin einer Jazzband.
Ein Höhepunkt mit Orchester
Die 1970er-Jahre sind das goldene Jahrzehnt von Joni Mitchell. Ihr Songwriting bleibt danach zwar stark, die Musik aber altert – vor allem in den 1980er-Jahren – nicht immer gleich gut.
2000 kleidet sie ihre besten Songs noch einmal neu ein, mit einem Orchester arrangiert von Vince Mendoza. Es ist ein weiterer Höhepunkt in einer Karriere, die unzählige Musikerinnen und Musiker inspiriert hat.
Gut ist sie zurück
Vor die Hunde zu gehen: Das Schicksal, das Joni Mitchell der Musik zwei Jahre später an den Hals wünschen wird, das verhindern eben genau solche Figuren wie sie selbst.
Gut, ist sie nach diesem Abgang einen eigenen Weg gegangen. Und zurückgekommen.