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Alte Debatte, neu lanciert Wie weit darf kulturelle Aneignung gehen?

Fridays for Future hat die Musikerin Ronja Maltzahn wegen ihrer Dreadlocks ausgeladen. Dies sei kulturelle Aneignung. In der Popmusik werden seit Jahren kulturelle Symbole und Klänge in einen neuen Kontext gesetzt. Wo liegt das Problem?

Im Beatlesklassiker «Norwegian Wood» aus dem Jahr 1965 ist eine Sitar zu hören. Es war das erste Mal, dass dieses traditionelle indische Saiteninstrument in einem westlichen Popsong zu hören ist. Der Leadgitarrist George Harrison, der sich mit der Musik und Kultur Indiens auseinandergesetzt hat, hat diese Klänge und auch Elemente der indischen Mode in die Band geholt – und somit berühmt gemacht.

In der westlichen Popmusik ist es bis heute an der Tagesordnung, Elemente aus anderen Kulturen in einen neuen Kontext zu stellen. Es gibt aber einige Beispiele, bei denen die Musikerinnen und Musiker sich wenig oder gar nicht mit der anderen Kultur auseinandergesetzt haben.

Man bedient sich einfach

Das überschreite die Grenze des Respekts, sagt Melanie Zwahlen. Sie ist Sozialarbeiterin und Mitglied des Vereins «Diversum» für rassismuskritisches Denken. «Bei kultureller Aneignung ist eben diese Wertschätzung nicht da. Man setzt sich mit der Kultur nicht auseinander, sondern man bedient sich einfach, weil man es cool findet.» Zwahlen thematisiert die kulturelle Aneignung am aktuellen Festival M4Music in einem Workshop.

Ähnlich argumentieren die Verantwortlichen von «Fridays for Future»: Die Klimabewegung hat in Hannover die Sängerin Ronja Maltzahn von einer Kundgebung ausgeladen, weil sie Dreadlocks trägt, die traditionelle jamaikanische Frisur. Sie eigne sich damit die Identität schwarzer Menschen an, die der Kolonialismus ausgebeutet hat.

Es braucht mehr Sensibilität

Beispiele für kulturelle Aneignung aus der Mode oder Popmusik gibt es viele: Katy Perry trat bei den American Music Awards als Geisha auf, ohne jeglichen Bezug zur japanischen Kultur. Lange vor Katy Perry hat sich auch Madonna künstlerisch und in der Kleidung immer wieder bei anderen Kulturen bedient.

Auch Elvis Presley hat Musik von afroamerikanischen Musikern aufgegriffen und ist damit reich und berühmt geworden. Im Gegensatz zu jenen, die diese Musik erfunden haben. Da gelte es, viel sensibler zu werden, sagt Zwahlen: «Die kulturelle Wertschätzung entsteht, wenn Musiker und Musikerinnen sich effektiv damit auseinandersetzen, wo ihre Musik herkommt und sie nicht einfach nur kommerzialisieren. Man sollte dafür sorgen, dass alle einen Teil vom Kuchen abbekommen.»

Elvis Presley
Legende: Basiert der Erfolg des King of Rock ’n’ Roll auf kultureller Aneignung? IMAGO / United Archives International

«Musikgeschichte ist Kolonialgeschichte»

Von dieser Wertschätzung ist die Musikszene laut Zwahlen aber noch weit entfernt. Sie ist überzeugt, dass dafür auch in der Schweiz das Bewusstsein noch fehlt. Deshalb wird der von ihr co-geführte Workshop am M4music-Festival im Zürcher Schiffbau auch bei der Wurzel des Problems beginnen.

«Zuerst kommt die Auseinandersetzung mit Rassismus. Man soll begreifen, dass das ein strukturelles Problem ist. Musikgeschichte ist Kolonialgeschichte», sagt Zwahlen. Auch das thematisiere der Workshop. Der dritte Teil setzt sich dann mit der kulturellen Aneignung auseinander. «Zusammen erarbeiten wir vor Ort Handlungsoptionen», sagt sie.

Kulturelle Aneignung ist ein komplexes Thema und Melanie Zwahlen weiss, dass wir derzeit lediglich an der Oberfläche kratzen und noch keine eindeutigen Antworten liefern können.

Veranstaltungshinweis

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Das Festival « m4music » findet am 25. und 26. März 2022 am Schiffbau in Zürich statt.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 24.03.2022, 17:20 Uhr ; 

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