Blogeinträge, Filme und Bücher zeichnen ein widersprüchliches Bild der Anna Magdalena Bach. Da ist von einer bewundernden Schülerin Bachs die Rede, von einer aufopferungsvollen Ehefrau, die auf die eigene Karriere verzichtet. Oder von einer verzweifelten und verarmten Witwe. Aber auch die Schlagworte «Cembalo-Amazone» und «talentierte Sängerin» tauchen dort auf.
Fakten und Fantasie
Aus dem Leben der sogenannten Bachin sind nur wenige Fakten überliefert und die Versuchung ist gross, fehlende Informationen mit Fantasie zu ergänzen, sagt Eberhard Spree. Der deutsche Kontrabassist und Musikwissenschaftler widerlegte 2021 mit seiner Biografie «Die Frau Capellmeisterin Anna Magdalena Bach. Ein Zeitbild» einige gängige Klischees.
Anna Magdalena Bach kommt am 22. September 1701 in Zeitz zur Welt und wächst in einem musikalischen Haushalt auf. Ab 1721 ist sie am Fürstenhof von Anhalt-Köthen als Sängerin angestellt.
Dort heiratet sie im selben Jahr den Kapellmeister Johann Sebastian Bach. Dieser nimmt zwei Jahre später in Leipzig das Amt des Thomaskantors und Musikdirektors an, die Familie zieht um.
Nur komponiert hat sie nicht
Anna Magdalena übernimmt den Bach'schen Haushalt und bringt 13 Kinder zur Welt. Diese wenigen Fakten verdichten sich zwangsläufig zu einem bestimmten Bild. Offensichtlich hat sie ihre Karriere als Sängerin beendet und sich stattdessen um die wachsende Kinderschar gekümmert, gekocht, gewaschen, geputzt. Spree hat da so seine Zweifel.
Nach der Heirat mit Johann Sebastian Bach stieg sie zur «Frau Capellmeisterin» auf. Zuhause wurden Privatschüler unterrichtet, Instrumente verliehen und eigene Werke verlegt und kopiert. «Komponiert hat sie nicht, aber an all den anderen Arbeiten war Anna Magdalena Bach nachweisbar beteiligt», so Spree.
Das Dienstpersonal verschaffte ihr Freiräume. So konnte sie ausserdem weiterhin auch als Sängerin auftreten. «Die Kleinkinder im Hause Bach wurden von Ammen versorgt», sagt Eberhard Spree. Aber das torpediert natürlich dieses idyllische Bild, das Friede-Freude-Eierkuchen suggeriert.
Witwe Bach war nicht arm
Am 27. Februar 1760 stirbt Anna Magdalena Bach. Im Totengräberbuch der Stadt Leipzig wird sie als Almosen-Frau bezeichnet. Dieser Eintrag hat entscheidend dazu beigetragen, in der Witwe Bach eine verarmte, verzweifelte Frau zu sehen.
Aber als Johann Sebastian Bach 1750 stirbt ist Anna Magdalena Bach 48 Jahre alt und übernimmt die Verantwortung und die Versorgung von drei unmündigen Kindern. Sie führt den Musikalienhandel ihres Mannes weiter und vermietet Wohnraum.
Alles eine Frage der Zeit
«Trotzdem wird sie wie viele andere Witwen finanziell unterstützt. Einfach, weil ihr weniger finanzielle Mittel zur Verfügung standen als vor dem Tod ihres Mannes», erklärt Eberhard Spree. Er hofft, dass in den kommenden Jahren weitere Dokumente zu Anna Magdalena Bach auftauchen.
Denn wie die Lücken in einer Biografie geschlossen werden, ist immer auch eine Frage des Zeitgeists. Heute gibt es immer mehr Forschende, Autoren und Journalistinnen, die die alten Projektionen hinterfragen und neue, fundierte Bilder liefern.
Dass Anna Magdalena Bach Anerkennung erfährt, ist längst überfällig. Bis sich das Bild der starken, aktiven und talentierten Anna Magdalena Bach im kulturellen Gedächtnis verankert, wird es wohl aber noch etwas dauern.