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Musik Anna Prohaska, die singende Anti-Diva

Alle lieben Anna. Weil sie so unverstellt, so authentisch, so echt ist. Eine Koloratursopranistin zum Anfassen, die vom üblichen Klassik-Tamtam nicht viel hält. Wenn sie singt und performt, wird erahnbar: Das, was sie so leidenschaftlich antreibt, könnte etwas mit uns zu tun haben.

Nein, sie ist keine, die sich für Galakonzerte in irgendwelche Samtvorhänge wickeln würde. All die Roben und Rüschen, die wallenden Busen, das ganze Getue, das ist sie nicht. 150 Jahre alte Rituale! Anna Prohaska macht den Zirkus nicht mit. Sie mag es unzimperlich. Sagt und macht, was andere sich nicht trauen und wird – wie Arlecchino – gerade dafür heiss geliebt.

Ihr Harlekin aber kommt ohne Maskerade aus, ganz im Gegenteil: Es gibt nur wenige in der Welt der klassischen Musik, die sich derart aufrichtig und unverstellt zeigen können. Die als Menschen wirklich erkennbar sind. Als vielschichtige Person, die stark und gleichzeitig verletzlich ist, die reden kann wie ein Buch und das auch mal ziemlich schnoddrig, und die auf Händel genauso steht wie auf Dark Wave.

Kein Kniefall vor grossen Komponisten

Es wird ja inzwischen immer weniger von Hoch- und Subkultur, E- und U-Musik gesprochen. Aber ein so handfestes Statement wie das in dem bestrickenden Porträtfilm «Die Fabelwelten der Anna Prohaska» hört man selten: Vor den grossen Komponisten müsse man nicht unbedingt immer nur auf die Knie fallen, hört man die Anti-Diva sagen. Oder wenn, dann nicht mehr als beispielsweise vor Deep Purple. Oder auch den Beatles, die als Songschreiber für sie «auf einem Level mit Schubert» stehen.

Als klassische Sängerin fühlt sich Anna Prohaska beim Lied, der Barock- und Renaissancemusik zu Hause. Prohaskas Stimme ist fein, leicht und agil wie ein Kolibri. Dort kann sie sich «dramatisch ausleben», ohne inmitten eines tosenden Orchesters und einer Wagner- oder Strausspartitur einen auditiven Schiffbruch zu erleiden.

Leidenschaftliche Seelenforscherin

Anna Prohaska hat offenbar ein Faible gerade auch für das Dramatische, Finstere und Widersprüchliche. Sie versteht es grandios, die dunklen Seiten ihrer Figuren auszuloten, in die sie sich auf der Bühne Hals über Kopf hineinversenkt. Anna Prohaska, die Seelenforscherin, trägt leidenschaftlich gerne Masken, nur um sie lustvoll von innen beinahe zu sprengen. Ihre Blonde aus Mozarts «Entführung aus dem Serail» zum Beispiel war alles andere als ein unbedarftes Kammerkätzchen. Da taten sich Abgründe auf, die für lyrische Soprane eigentlich gar nicht vorgesehen sind.

In einem Metier, in dem es nach wie vor auf eine möglichst glatte Oberfläche ankommt, die sich gut verkaufen lässt, sorgt Anna Prohaska entspannt und manchmal auch wohltuend unspektakulär für ordentlich Wellengang. Sie fällt auf, weil sie ganz bei sich ist. Und jeder, der auch nur ein klein wenig Liebe zur klassischen Musik hegt, kann nur dankbar sein, dass sie da ist und mitmischt und mit ihrem fragilen Timbre die alte Musik ausgräbt aus dem Staub und reinholt ins Herz.

Das pralle Leben feiern

Das ist nicht nur persönlicher Mut und Verdienst, sondern eine Frage der Generation. Anna Prohaska steht nicht alleine mit diesem Hang zur Unmittelbarkeit. Mag sein, dass sie ein Stück weit lediglich Teil der Lösung sein will für ein Problem, das akut geworden ist: Weil der klassischen Musik das Publikum derart abhanden kommt, dass ein baldiges Ende des ganzen Zaubers droht.

Aber es wird keine Fee mit einem Überlebenselexier kommen. Und ob man jetzt eine Diskokugel ins Foyer hängt, bärtige DJs als Verstärkung herbeiruft oder in abgewrackten Werften aufspielt, ist nicht so wichtig. Es geht vielmehr um dieses verschüttete Gefühl von Nähe und Echtheit. Darum, es wieder aufzuwühlen und auf der Bühne nichts als das pralle Leben zu feiern. Und da kann ihr so leicht gerade keiner was vormachen. Denn Anna Prohaska sagt selber: «Ich singe, wie mir die Schnauze gewachsen ist!»

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