Ende Juni flatterte ein Brief in jedes Schweizer Geschäft, das Musikinstrumente verkauft. Darin stand: «Im Detailhandel Musik können mit Grundbildungsbeginn 2018 keine neuen Lernenden mehr ausgebildet werden.»
Der erste Gedanke von Patrick Geser: «Es hat mich bedrückt zu sehen, dass meine Branche in einem so schlechten Zustand ist, dass es nicht einmal mehr Lehrlinge braucht.» Für den Besitzer des Zürcher Gitarrengeschäfts «Gitarren total», ist diese Nachricht verheerend: Das führe zu «halbprofessionell und hobbymässig geführten Läden».
Dieses Jahr nur zehn Lernende
Verschickt und unterschrieben haben den erwähnten Brief Dieter Spiess, Präsident der Schweizerischen Kommission für Berufsentwicklung und Qualität im Detailhandel, und Rainer Zulauf, Präsident der Ausbildungs- und Prüfungskommission Musikinstrumente.
Denn es gebe zu wenig Lernende, sagt Rainer Zulauf auf Anfrage: «Für 2017 sind in der ganzen Schweiz nur zehn Personen gemeldet. Es müssten Minimum doppelt so viele sein». Die Zahl der Lehrlinge müsse in Zukunft höher sein, damit sich die Kosten für die sogenannten überbetrieblichen Kurse, die spezialisierte Ausbildung in der Gewerbeschule, auch auf genügend Schultern verteilen liessen.
Das Internet ist schuld – aber nicht nur
Dass die Zahl der Lernenden so klein ist, hat selten mit fehlendem Interesse der Lehrstellensuchenden zu tun. Alexander Steinegger von «Krompholz Musik» in Bern bestätigt auf Anfrage, dass sie viel mehr Bewerbungen erhalten, als sie Lehrstellen besetzen können.
Es gibt also schlicht zu wenig Lehrstellen – die Verschiebung des Marktes ins Internet ist ein Grund dafür: «Grosse Betriebe haben in den letzten Jahren massiv Filialen geschlossen, Arbeitsplätze abgebaut und somit auch Lehrstellen gestrichen.»
Ein weiterer Grund ist, dass viele Teams sehr klein sind und keinen Lehrmeister haben, der sich adäquat um die Betreuung eines Lernenden kümmern kann. Die Lehraufsichtsbehörde bewilligt in solchen Fällen die Lehrstelle nicht.
Betriebe könnten, aber wollen nicht
Ausbilden bedeutet nicht nur höhere Kosten für einen Betrieb, sondern auch Zeit investieren und persönliches Engagement. Letzteres aber fehle oft in der Branche, beobachtet Rainer Zulauf, der mit «Tastenträume» im aargauischen Buchs und online selbst Musikinstrumente verkauft. «Wir wissen um viele Betriebe, die könnten, aber es nicht tun wollen».
Modernisierung gefordert
Ohne fundierte Ausbildung keine qualifizierten Berufsleute. Aber die braucht es – und zwar nicht nur im Laden, sondern auch im Online-Geschäft, davon ist Rainer Zulauf überzeugt. Das aber habe swissmusic, der Verband Musikhandel Schweiz, der sich 2014 aufgelöst hat und für die Ausbildung zuständig war, hat nie richtig erkannt: «Der Verband hat die Online-Geschäfte ausgegrenzt», sagt Zulauf.
Das sei falsch gewesen, weil ja auch der Online-Handel Fachpersonal brauche. «Ich bin ein Verfechter davon, dass man die Online-Shops integriert und die Ausbildungsziele anpasst.» Die Ausbildungsziele anpassen heisst auch: Die Lehrmittel auf den Verkauf im Online-Markt anzupassen. Das ist mittlerweile passiert, trotz allem fehlen Lehrstellen.
Jetzt ist die Branche am Zug
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, eine letzte Möglichkeit besteht, darauf verweist auch besagtes Schreiben: «Wir brauchen konkrete Zusagen für Lehrplätze 2018 und 2019. Also das Commitment der Branche, dass sie diese Ausbildung wirklich will.»
Bis am 5. Juli konnten die Branchenvertreter ihre Stellungnahmen einreichen, die Rückmeldungen sind bescheiden, sagt Rainer Zulauf. Definitiv entscheiden, ob die Lehre Detailhandel Musik für immer verschwindet und damit langfristig gesehen der qualifizierte Musikinstrumentenverkäufer, werden die zuständigen Kommissionen im Herbst.