Kaum war der Pianist Jacky Terrasson auf der Szene aufgetaucht anfangs der 1990er-Jahre, da rief ihn schon die Sängerin Betty Carter an.
Ob er auf eine Tour mitkommen könne. Klar, meinte Jacky Terrasson. Wann beginnt die Tour? Betty Carter: Morgen.
Alle wollen den Wunderpianisten
Jacky Terrasson schaufelte alles frei für diesen Gig und begleitete die anspruchsvolle Betty Carter fast ein Jahr lang am Klavier.
Spätestens dieses Engagement hat ihn hinauf katapultiert, hinauf in die Champions-League der Jazz-Pianisten. Technisch brillant? Klar. Extrem vielseitig? Auch das. Enorm flexibel? Und wie!
Und so hätte sich Jacky Terrasson eigentlich ein sorgenfreies Leben einrichten können als Begleiter von vielen Jazz-Grössen. Und begleitet hat er oft, nicht zuletzt Sängerinnen und Sänger.
Die wussten seine Qualitäten zu schätzen. Little Jimmy Scott, der kleine Mann mit der grossen Stimme, Cassandra Wilson mit ihrem erdigen Organ und eben: Betty Carter, die berühmt-berüchtigt ist für ihren Machtinstinkt auf der Bühne – alle wollten sie den jungen Wunderpianisten hinter sich am Flügel wissen.
Einer für alles
Aber mit dem Begleiten von Jazz-Grössen war es für Jacky Terrasson nie getan – dazu hatte er einfach zu viele Ideen im Kopf. Als Sohn einer Französin und eines Amerikaners hatte er sowieso immer ein Bein in Europa und eines in Amerika.
Er liebt den Jazz, den er durch die Platten-Sammlung seiner französischen Mutter kennengelernt hat. Er liebt aber auch die französische Musik, insbesondere Maurice Ravel und Francis Poulenc.
Die schönen Melodien, die französische Virtuosität, die amerikanischen Songs, alles saugte er auf wie ein Schwamm. Und das allermeiste versucht er in seine Musik zu packen.
Keine Angst vor Kitsch
Da ist es vielleicht wenig verwunderlich, dass es Jacky Terrasson bisweilen nicht leicht fällt, eine wirklich eigene Musik zu spielen. Wenn es ein Erkennungsmerkmal gibt für ihn, dann ist es wohl am ehesten dieses fast schon impulsive Vermischen von verschiedenen Stilen, verschiedenen musikalischen Welten.
Warum Jacky Terrasson diese oder jene musikalische Entscheidung trifft, ist nicht immer klar, sein Zugriff ist oft intuitiv, und er hat keine Angst vor schönen Tönen.
Aber die ständige Suche nach dem Eigenen in der Musik hat auch eine gute Seite: Wer sucht, der findet, auch wenn er manchmal irrt. Jacky Terrasson scheint mit zunehmendem Alter seine Mittel dosierter einzusetzen, oft eher weniger als mehr zu spielen.
Wunderbarer Wurf
Sein neues Album «Mother», im Duo mit dem Trompeter Stéphane Belmondo, ist ein Wurf. Eine wunderbar ausgewogene und ruhige Auseinandersetzung mit Melodien, die zum schönsten von beiden Welten gehören. Von der französischen – und von der amerikanischen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Jazz Collection, 22.11.2016, 21:00 Uhr