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Chöre in der Krise War Corona ein Booster für Choraustritte?

Die Pandemie war für die Schweizer Chorszene eine Belastung. Normalität kehrt allerdings auch danach keine ein.

Optimismus klingt definitiv anders: «Viele Chöre sind trotz schwindender Mitgliederzahlen noch aktiv. Es ist möglich, den Betrieb aufrecht zu halten.» So lautet die Einschätzung von Maja Bösch, der Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Musikverbands, zur Lage der katholischen Kirchenchöre.

Etwa fünf Prozent der 500 katholischen Kirchenchöre lösten sich Jahr für Jahr auf, sagt Bösch, die in St. Gallen selbst mehrere Chöre leitet. Corona habe als Brandbeschleuniger gewirkt, weil es schwierig gewesen sei, den Chorbetrieb aufrechtzuerhalten.

Vereinswesen wird unattraktiver

Für viele Chormitglieder sei das ein Anlass gewesen, auszutreten. «Entweder, weil sie ein gewisses Alter erreicht oder andere Freizeitaktivitäten unternommen haben.» Eine Rolle spiele zudem, dass das Vereinswesen weniger attraktiv sei als früher. Auch die Bindung an die Religion schwinde.

Beim Dachverband der reformierten Kirchenchöre, dem Kirchengesangsbund, klingt es ähnlich. Die Zahl der Singenden sei mit 5300 zwar konstant geblieben, sagt Geschäftsführer Markus J. Frey, nicht aber die Zahl der Chöre.

Jedes Jahr würden rund zehn Chöre den Verband verlassen, dem derzeit 187 Ensembles angehören. Der Kirchengesangsbund verliert also pro Jahr ebenfalls etwa 5 Prozent seiner Chöre. Corona habe diesen Prozess beschleunigt. Vor allem ältere Mitglieder hätten die Zwangspause genutzt, um auszutreten.

Vielen fehlt die Zeit

Viele Chormitglieder hätten zudem Mühe damit, zehnmal im Jahr in Gottesdiensten aufzutreten. Der Zeitaufwand sei zu gross. Der Trend gehe deshalb in Richtung Projekt-Chor. Solche treten zum Beispiel an einem Wochenende zweimal auf.

Bei den weltlichen Chören sieht die Lage etwas besser aus: In den letzten Jahren habe man 3,5 Prozent der Chöre verloren, sagt Anna Fintelmann, Vizepräsidentin der Schweizerischen Chorvereinigung.

«Angesichts der Lage während der Pandemie ist das eine Zahl, die noch okay scheint», sagt sie. Vor allem, weil die Zahl der Singenden selbst mit derzeit 41'000 kaum zurückgegangen sei.

Abkehr oder Rückkehr?

Vor allem Männerchöre und ältere Ensembles hätten schon seit Jahren Schwierigkeiten, neue Mitglieder anzuwerben: «Diese Gruppen musste sich bereits vor Corona überlegen, ob ein Weiterbetrieb Sinn macht», so Fintelmann.

Allerdings erlebe sie auch Positives: «Wir sehen, dass die Menschen nach der Pandemie zurückkommen und darauf drängen, dass man wieder zusammen musizieren kann.»

Neue Formen machen Hoffnung

Zudem ist bei den Chören selbst einiges in Bewegung. Viele würden ihre Angebote stärker auf die Mitglieder abstimmen. Etwa, indem sie am Nachmittag proben statt am Abend. Oder, indem sie ihr Repertoire anpassen, damit auch Jüngere mitmachen wollen.

«Ich denke, dass neue Formen entstehen werden«, sagt Winkelmann. »Und ich glaube ganz fest, dass die Menschen, die Musik machen wollen, das auch wieder tun werden.»

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 16.08.2022, 07:06 Uhr ; 

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