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Corona-Massnahmen und Kultur Tonhalle-Intendantin: «Schock, das war mein Zustand»

Corona und Konzerte: Ab sofort sind noch 50 Leute im Publikum zugelassen. Wie reagiert man in der Klassik-Branche auf diese neue Regelung?

Noch bis gestern hatten sich zahlreiche Kulturveranstalter mit offenen Briefen an die Regierungen der Kantone und des Bundes gewendet. Sie hatten auf die wissenschaftlich fundierten Schutzkonzepte hingewiesen, auf den Wert der Kultur für die Menschen.

Doch es hat nichts genützt. Es sind nur noch 50 Leute im Publikum zugelassen.

«Schock, das war mein Zustand», sagt Ilona Schmiel, die Intendantin des Tonhalle Orchesters Zürich. Ganz ähnlich ist die Reaktion von Hans-Georg Hofmann, künstlerischer Leiter des Sinfonieorchesters Basel: «Es ist uns unerklärlich, wie man zu so einem Urteil gekommen ist.»

ein Mann mit einem Mikrofon, der eine Ansprache hält
Legende: Hans-Georg Hofmann wünscht sich eine stärkere Lobby für die Veranstaltungsbranche. Sinfonieorchester Basel

Für Hofmann zeige der Entschied, dass in bestimmten Kreisen Kultur als reine Freizeitbeschäftigung wahrgenommen wird. «Dass dahinter Arbeit steht, scheint man nicht wahrzunehmen.»

Wie geht es weiter?

Das Tonhalle Orchester Zürich hat sich entschieden, den Spielbetrieb in der Tonhalle Maag bis auf Weiteres komplett zu schliessen – aus finanziellen Gründen.

Das Orchester erhält zwar weiterhin Subventionen. Doch diese decken nur die Hälfte der Gesamtkosten. Die andere Hälfte müsste unter anderem durch Ticketverkäufe erwirtschaftet werden.

eine Frau vor einem gelben Vorhang
Legende: Für Ilona Schmiel ist die 50-Personen-Grenze absurd. KEYSTONE / Gaetan Bally

Das sei unmöglich, so Ilona Schmiel. Sie müsse Angestellte an den Eingängen, an der Garderobe und im technischen Bereich einsetzen. «Wenn man die Kosten, die das Haus an sich schon hat plus die Billetts zusammenrechnet, ist jede Hausöffnung ein Minusbetrieb. Bei 50 Personen ist das absurd. Eigentlich rechnet sich so ein Haus erst ab zirka 800 Personen.»

Kultur ist wichtig für die Gesellschaft

Das Sinfonieorchester Basel hingegen hat angekündigt, einen alternativen Spielplan zu erarbeiten. «Ich sehe unseren Auftrag als Orchester, eine Art musikalische Grundversorgung zu gewährleisten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, den Kontakt zum Publikum zu behalten. Jetzt einfach zuzumachen, halte ich nicht für den richtigen Weg», sagt Hans-Georg Hofmann.

Die bislang hohen Saalmieten im Stadtcasino Basel hofft man neu verhandeln zu können, um so etwa Kammermusikkonzerte für ein kleines Publikum anbieten zu können.

ein grosses Orchester steht auf einer Treppe
Legende: Das Basler Sinfonieorchester macht trotz massiver Einschränkungen weiter – Kultur sei ein Grundbedürfnis, so dessen künstlerischer Leiter. Basel Sinfonieorchester / peachesandmint

Kultur ist keine Freizeitbeschäftigung

Dass die neuen Regelungen auf unbestimmte Zeit gelten, macht die langfristige Planung nahezu unmöglich – und stösst auf Unverständnis bei den Konzertveranstaltern. Hans Georg Hofmann erklärt: «Wir haben keine Lobby wie andere Branchen.»

Die Branche müsse sich nun stärker akzentuieren. Kultur sei ein Grundnahrungsmittel. «Die Qualität in den Konzerten muss erarbeitet werden und es braucht eine Kontinuität, wie in jeder anderen Branche auch.»

Auch Ilona Schmiel sieht erhöhten Bedarf, die Lobby der Veranstaltungsbetriebe zu stärken. Schliesslich gehe es nicht nur um die schöne Kunst, sondern auch um die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Kulturbranche.

«Das sind immense Folgen für andere wirtschaftliche Unternehmen, die von uns mitabhängig sind. All diese Ketten müssen wir verstärkter aufzeigen, um die gesamte Dimension des Schadens, der jetzt eintritt, aufzuzeigen. Dann sehen wir die veritable Grössenordnung, die eher Gehör findet.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 29.10.2020, 17:10 Uhr

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