Ich bin dann mal weg. Ein Schlagerstar kündigt den Rückzug aus dem Showgeschäft an und hält sich daran. Kein Comeback. Das ist die erstaunliche Geschichte der Simone Drexel. Abgetaucht ist sie nicht. Ab und zu erscheint ein Interview mit ihr in der Presse. Höflich stellt sie sich den immer gleichen Fragen. Zumeist im Frühjahr, wenn der Eurovision Song Contest vor der Türe steht. Dann erinnert man sich gerne an diese junge Frau aus St. Gallen, die 1975 die Schweiz in Stockholm vertrat und den 6. Platz erreichte. Mit einer Eigenkomposition wohlverstanden: «Mikado». Der 6. Rang ist beachtlich. Heute wären das schon 6 Punkte im Final.
Keine Angst davor was zu verpassen
Wer mit Simone Drexel sprechen will, muss sich gedulden. Denn Simone Schoch, so heisst sie heute nach ihrer Heirat, arbeitet oft nachts, als medizinische Laborantin beim Blutspendedienst St. Gallen. Je nach Schichtdienst schaltet sie ihr Telefon tagelang aus. Keiner da. Nein, Simone Drexel gehört nicht zu den Menschen, die denken, sie würden etwas verpassen. Und das kam so.
Die Plattenfirma hatte anderes mit ihr vor
1973 gewinnt sie ihren ersten Talentwettbewerb, bei der Jugendzeitschrift «Bravo». Castingshows gibt es damals noch nicht. Ein Jahr später, mit 16 Jahren, hat sie einen Plattenvertrag in der Tasche und ihren ersten Fernsehauftritt. In der Sendung «Music-Farm» von Toni Vescoli singt sie «The House Carpenter», ein amerikanisches Volkslied. Sie begleitet sich selbst auf der Gitarre. Das war im Oktober 1974. Die Bild- und Ton-Aufnahmen sind erstaunlich gut erhalten. Aber das ist nicht allein das Besondere daran. Diese Momentaufnahme erinnert an ein Leben vor der Kamera, dass sie vielleicht gerne geführt hätte. Mit Blues, Folk oder Jazz. Das war ihre Musik. Doch die Plattenfirma hat andere Pläne.
Simone Drexel hat Schlagerpotential. Sie schreibt ihre Texte selber. «Eine Lady und der Musikant», «Der Regenbogenprinz», «Mikado». Sie kann Schlager, den melancholischen ganz besonders. Aber ihr Herz schlägt nicht dafür. Die Schlagerwelt wird zum Paralleluniversum. Ihre Stimmfarbe ist betörend. In Deutschland, so ist sich die Plattenfirma sicher, lässt sich das gut verkaufen. Als «The Dark-Side of Paola», sozusagen.
1975 darf sie die Schweiz am Eurovision Songcontest vertreten. Mit «Mikado». Musik und Text hat sie selber geschrieben. Sie weiss lange nicht, was sie anziehen soll, in diesem Stockholm. Es ist ihr auch nicht so wichtig. Der Kimono begegnet ihr irgendwann unterwegs. Keine grosse Sache. Aber dann erreicht sie den 6. Platz und die Presse ist aus dem Häuschen. Über Nacht wird sie zur grossen Schlagerhoffnung der Schweiz. Dabei hat sie nicht einmal ein Management. Alle Anfragen für Auftritte und Interviews landen direkt bei ihr. Oder bei ihrer Mutter am Küchentisch, wenn sie tagsüber in der Schule sitzt.
Früher Ruhm
Zu jung, zu viel, zu früh. Das ist das Fazit von Simone Drexel, wenn sie über diese Zeit spricht. Ein Jahr nach Stockholm bittet sie die Plattenfirma um Vertragsauflösung.
Sie beendet ihre Ausbildung zur medizinischen Laborantin, gründet eine Familie, lebt ihr Leben. Sie spricht nicht schlecht über diese Zeit im Showgeschäft oder über Schlagermusik an sich. Sie hadert auch nicht mit der Frage, was gewesen wäre, wenn... Es war einfach das falsche Spiel, zur falschen Zeit. Und das hat sie für sich früh erkannt.
Nach 38 Jahren wieder im Tonstudio
Ach ja. Sie hat sich dann doch auch ein bisschen Bedenkzeit gelassen. Für «Cover Me - Rap trifft Evergreen». Noch einmal vor die Fernsehkameras treten. Ein Blindflug noch dazu. Aber dann hat sie geschmunzelt und zugesagt, bei diesem musikalischen Experiment wo eine Musiklegende und ein Rapper aufeinandertreffen, um einen Hit des andern neu zu interpretieren.
Der Solothurner Rapper Manillio hat Mikado neu ausgelegt. Mit ruhiger Hand. Und Simone Drexel hat mit 56 doch noch mal nach den Sternen gegriffen. Übrigens im Ostschweizer Dialekt. Eine Premiere. Es war ein feierlicher Moment, als sie das Lied «Stärne» im Tonstudio live vortrug. Der erste neue Drexel-Song nach 38 Jahren. Sie hat uns ziemlich erwischt. Und in die Überraschung über diese menschliche und musikalische Wiederentdeckung mischte sich eine Prise Wehmut. Was für eine Stimme. Nein, Simone Drexel gehört auch in solchen Momenten nicht zu den Menschen, die denken, sie hätten etwas verpasst. Wir schon.