Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Musik «Dann singe ich eben, wo man mich singen lässt – e basta!»

Die Altistin Sara Mingardo ist eine unaufgeregte, sympathische Sängerin mit einer warmen und ungewöhnlich tiefen Stimme. Sie wäre mit einem Leben in Venedig im Opernchor des Teatro La Fenice vollauf glücklich gewesen. Doch ein Heiratsantrag verändert alles. Ein Gespräch in einer venezianischen Bar.

Cincin, Sara Mingardo! Sind Sie eigentlich stolz, Venezianerin zu sein?

Oh ja! Venedig hat eine so reiche Geschichte. Hier wurde, dank Komponisten wie Claudio Monteverdi oder Francesco Cavalli die Oper geboren, Venedig war über Jahrhunderte wirklich das Zentrum der Musikwelt. Ich habe schon als Jugendliche in verschiedenen Kirchenchören gesungen, ganz besonders oft übrigens in der Kirche der Pietà, wo Antonio Vivaldi gewirkt hat. Das prägt einen. Ich habe dann auch meine Gesangsausbildung hier absolviert, am Conservatorio Benedetto Marcello, und habe mit 21 Jahren im Chor des Teatro La Fenice meine erste feste Stelle erhalten.

Video
Altistin Sara Mingardo über ihre Anfänge, Abbado und das KKL.
Aus Kultur Extras vom 15.08.2014.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten.

Als einfache Chorsängerin?

Ja, ich hatte nie vor, eine Solistenkarriere zu machen. Wissen Sie, am Konservatorium hatte ich es nicht leicht mit meiner tiefen Stimme: «Sara, nimm doch mal den Lift nach oben», pflegte mich mein Gesangslehrer aufzuziehen. Weil ich ein Problem hatte, eine vokale Höhe zu entwickeln. Das war manchmal wirklich frustrierend. Zumal im selben Jahrgang mit mir Luciana d’Intino studierte, eine fantastische Mezzosopranistin mit einer ausserordentlich beweglichen Stimme. Andererseits habe ich mir aber nie den Kopf darüber zerbrochen und dachte, ich singe dann eben, wo man mich singen lässt – e basta!

Beim Fenice-Opernchor sind Sie ja aber inzwischen schon lange nicht mehr.

Dabei wollte ich gar nicht weg! Ich hatte dort fantastische sechs Jahre und kann überhaupt nicht bestätigen, was viele sagen – dass das Singen im Chor für spätere Solisten nicht gut ist. Ich habe als Chorsängerin mit den besten Sängerinnen und Sängern der Welt zusammen auf einer Bühne stehen dürfen – Marilyn Horne, Jessye Norman, Luciano Pavarotti, Piero Cappuccilli … das war einfach wunderbar. Und ich musste ja nur drei Stunden am Tag wirklich arbeiten.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Sara Mingardo wurde 1961 in Mestre, dem Vorort Venedigs auf dem Festland, geboren und lebt heute immer noch da. Sie studierte am Konservatorium Benedetto Marcello in Venedig und an der Accademia Musicale Chigiana in Siena. Heute gehört Mingardo zu den international bedeutenden Opern-Sängerinnen und tritt an den grossen Bühnen auf.

Klingt paradiesisch. Warum sind Sie denn weggegangen?

Offiziell, weil ich mit 26 Jahren den Concorso Toti dal Monte in Treviso gewonnen habe (einen der wichtigsten Gesangswettbewerbe, Anm. d. Redaktion). Danach erhielt ich Angebote für kleinere Rollen, sowohl in Mailand als auch am Teatro Communale di Bologna. Ich dachte, ich könnte das ja mal probieren und um ein Jahr Auszeit beim Chor bitten. Das haben die allerdings abgelehnt und, ehrlich gesagt, wollte ich die feste Stelle auch nicht verlieren, deswegen war ich schon kurz davor, in Mailand und Bologna abzusagen.

Was ist passiert?

Tja, die Liebe ist passiert, aber nicht so romantisch, wie Sie jetzt vielleicht denken. Ich war damals mit einem Posaunisten des Fenice-Orchesters zusammen und er machte mir einen Heiratsantrag. Das war wie ein Schock: Will ich wirklich Hausfrau und Mutter sein und ein ganzes Leben lang im Chor singen? Ich hab sofort zum Telefon gegriffen und – weg war ich!

Oh.

Keine Sorge, wir sprechen noch miteinander und unsere Familien sind befreundet.

Wie lebt es sich denn so in Venedig? Die Stadt ist ja für viele eine Utopie.

Das ist sie nicht, glauben Sie mir. Venedig ist so wunderschön wie kompliziert. Alles, aber auch wirkliches alles, muss per Boot oder zu Fuss transportiert werden, das ist teuer. Dann das immer wiederkehrende Hochwasser, was die ganze Stadt lahmlegt. Sie können dann ihre Kinder kaum zur Schule bringen, geschweige denn zum Flughafen gelangen. Ich lebe mit meiner Familie auch deswegen in Mestre auf dem Festland. Aber wir kommen eigentlich jeden Tag hierher und geniessen es, durch die stillen Gassen zu laufen, wohin sich kein Tourist verirrt. Venedig lässt einen zur Ruhe kommen.

Was für einen Antonio Vivaldi nicht gilt – seine Musik birst ja häufig vor Tempo und Energie …

… und doch ist er ein ur-venezianischer Komponist. Das Gemeinsame aller venezianischen Komponisten ist, dass bei ihnen das Wasser eine grosse Rolle spielt, das Geräusch, wenn die Ruder der Gondolieri ins Wasser eintauchen, wenn der Regen auf die Dächer prasselt oder die Wellen bei Sturm an die gestreiften Anlegepfähle der Gondeln klatschen. Venedig und das Wasser gehören einfach zusammen, im Schönen wie im Lästigen.

Meistgelesene Artikel