Leonard Cohens Auftritte werden auf Youtube millionenfach geschaut, seine Songs über 5000-mal gecovert.
Das habe mit der poetischen Qualität seiner Songtexte zu tun, meint Kulturwissenschaftler Caspar Battegay – und mit Cohens spiritueller Tiefe: «Leonard Cohen war obsessiv auf der Suche nach Spiritualität.»
Die obsessive Suche führte Cohen auch zu LSD-, Alkohol- und Nikotinmissbrauch, was seine Stimme noch gebrochener machte. «Transzendenz-Süchtig», nennt ihn Battegay.
Zum 90. Geburtstag des 2016 verstorbenen Sängers erscheint sein Buch «Leonard Cohens Stimme».
«There is a crack in everything»
Cohen war zeitlebens ein spirituell Suchender. Er verbrachte vier Jahre als Mönch mit kahl geschorenem Kopf im Zen-Kloster bei Los Angeles. Gleichzeitig blieb er verwurzelt im Judentum.
Auf dem jüdischen Friedhof in seiner Heimatstadt Montreal liegt er auch begraben. Der dortige Synagogenchor begleitete ihn auf seinem letzten Studio-Album. Und Cohens Lyrics spielen oft auf die jüdische Tradition an: So ist die Pointe von «Anthem» eine Pointe aus der jüdischen Mystik Kabbala: «There is a crack, a crack in everything, that’s how the light gets in.»
Das spielt auf das kabbalistische Bild von den zerbrochenen Gefässen als Bild für die kaputte Welt an: eine Welt, in der Gott als abwesend empfunden wird. Doch genau durch die Bruchstellen («crack») dieser überall so angeknacksten Welt kann überhaupt erst Licht fallen, singt Leonard Cohen. Das spendet Trost in aller Düsternis.
Tatsächlich litt Cohen an Depressionen. Sie wichen erst bei seiner allerletzten Welttour. Es folgte sein letztes grosses Comeback, das der Nachwelt Cohens « Hallelujah » ins Herz pflanzte. Poesie, Kunst und Theologie, so Caspar Battegay, seien bei Cohen eins.
Prophet und Priester
Cohen inszenierte sich mal als grollender Unheilsprophet («I am coming to reward them: first we take Manhattan, than we take Berlin») – und mal als Priester der Popkultur. An Konzerten rief Cohen zum Frieden auf und erteilte seiner «Gemeinde» den jüdischen Priestersegen. Als «Cohen» gehört er tatsächlich zur jüdischen Priesterdynastie.
Caspar Battegay zeigt die Bezüge in Cohens Lyrics auf: zu Synagogentexten, Neuem Testament, Zen – und zu Lyrikern wie Federico García Lorca, dessen «Stimme» Cohen sein Vorbild nannte.
Cohens Protestsong «The Story of Isaac» basiert auf der Bibelstelle von der Fast-Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham. Cohen fordert im Song: Ihr dürft Eure Söhne nie wieder opfern.
Ein Mann der Widersprüche
Der Song erschien 1969 unter dem Eindruck des Vietnamkriegs und des Sechs-Tage-Kriegs in Israel: Beide wurden als endzeitliche Katastrophen interpretiert. Cohen hatte die ebenso lange wie ambivalente Auslegungsgeschichte dieser Bibelstelle im Kopf, weiss Autor Battegay.
«Gleichzeitig war er sehr irdisch», sagt Caspar Battegay. Sexualität – auch die rohe, physische Sexualität einer einzigen Nacht –besang Leonard Cohen ebenso obsessiv. Ohne Frauen wäre nichts gegangen bei ihm.
Den Sexismus-Vorwurf muss sich Cohen – wie die meisten seiner Pop-Generation – gefallen lassen, konstatiert Battegay. Cohens Partnerinnen auf der Bühne und im Leben sprechen aber mehrheitlich wertschätzend von ihm.
Sexualität und Spiritualität: Das scheinbar Widersprüchliche gehörte bei Leonard Cohen – dem Sänger mit der seltsamen Stimme – zusammen.