Die Handlung ist hochaktuell: Frauen werden im nahen Osten gefangen gehalten, Folter- und Todesdrohungen sind an der Tagesordnung. Eine realitätsnahe und kritische Opernregie drängt sich daher gerade bei diesem Singspiel von Mozart fast auf. Es ist aber nicht jedermanns Sache, in der Oper aktuell Stellung zu beziehen.
Zensierte Inszenierung
Der österreichische Regisseur Martin Kušej sorgte mit seiner Inszenierung von W. A. Mozarts «Entführung» am Opernfestival in Aix-en-Provence letztes Jahr für einen Eklat. Er wollte eine Geiselnahme, harte Bestrafungspraktiken und rollende Köpfe auf der Bühne zeigen und damit Bassa Selim und sein Gefolge in die Nähe von islamistischen Terroristen rücken.
Die brutalen Szenen wurden von der Intendanz schliesslich entschärft. Und Kušej hielt anschliessend fest, dass die zensierte Version seiner Inszenierung nur noch bedingt seiner momentanen Sicht auf das Stück entsprach.
Viele Regisseure wählen bei einem solch heiklen Werk wie der «Entführung» einen einfacheren Weg. Sie retten sich in die unproblematischen Seiten dieses Singspiels oder in dessen exotisches Kolorit und blenden alles andere einfach aus.
Damit verschenken sie allerdings auch die Chance, eine traditionsreiche Kunstform wie die Oper mit Themen zu verknüpfen, die die Welt und die Menschen von heute gerade beschäftigen.
Erschreckende und kunstvolle Musik
In Mozarts Musik steckt beides, Brutales und Schönes. Einerseits sind einige Nummern wie die Ouvertüre, die Chorszenen, Pedrillos Trinklied und Osmins Arien geprägt von der Kriegsmusik der osmanischen Mehter, der Janitscharenmusiker.
An diesen Stellen kann das Publikum eine so erschreckende wie kunstvolle Symbiose von westlicher und nahöstlicher Musik erleben. Mozart erreicht diese Wirkung, indem er das klassische Orchester um Instrumente erweitert, die für die Mehter-Märsche charakteristisch sind. Zu Streichern und Bläsern gesellen sich etwa Becken, grosse Trommel und Triangel.
Geköpft, gehangen und aufgespiesst
Das Textbuch, das Libretto von Johann Gottlieb Stephanie, spricht allerdings eine deutliche Sprache. «Erst geköpft, dann gehangen, dann gespiesst auf heisse Stangen» sollen die Eindringlinge aus dem Westen werden.
Das wünscht sich etwa der Haremswächter Osmin. Bassa Selim, der Herrscher dieses Serails, hofft indessen, dass sich bei Konstanze das Stockholm-Syndrom einstellt; dass sie sich doch noch in ihn, der sie bei sich festhält, verliebt.
Und ist sie nicht willig, dann nimmt der Pascha (in diesem Fall ein zum Islam konvertierter Spanier) sie sich einfach mit Gewalt. Er droht ihr ganz unzimperlich mit Folter.
Schwieriger Spagat
Andererseits wirbelt das heitere Buffo-Pärchen Pedrillo und Blondchen durch das Stück, und da sind nicht zuletzt die anrührenden lyrischen Szenen von Belmonte und Konstanze sowie viele virtuose Koloraturen.
Für eine Opernregie, die dieses Stück ernst nehmen und am Puls der Zeit sein will ist es kein Leichtes, den Spagat zwischen diesen Polen zu meistern und die «Entführung» schlüssig auf eine heutige Bühne zu bringen.