Die Kritik, dass Hip-Hop ein Sexismus-Problem hat, ist so alt wie die Kultur selbst. Wirklich bewirkt hat diese Kritik jedoch nie viel. Besonders Texten aus der deutschen Rapszene wurde in den letzten Jahren immer wieder vorgeworfen, gewaltverherrlichender und frauenverachtender denn je zu sein. Mit dem Argument der Kunst- und Redefreiheit wurde vieles legitimiert. Bis jetzt.
Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen mehrere deutsche Rapper erscheinen nun wie ein Beweis dafür, dass Worte manchmal eben doch nicht nur Worte sind.
Werte einer Parallelwelt bröckeln
Gewaltvolle, sexistische Rap-Texte normalisieren übergriffiges und frauenfeindliches Verhalten, meint der Rapper Didi. «Im Rap werden natürlich auch Machtfantasien widerspiegelt», sagt Journalist und Rapper Uğur Gültekin aka Urabi. Er arbeitete lange auch als Hip-Hop Journalist und beobachtet die Szene seit über 20 Jahren.
Bewirkt #DeutschRapMeToo nun wirklich ein Umdenken in der Szene oder bleibt er ein Hashtag unter vielen? Mimiks sagt überzeugt: «Der Zenit ist jetzt überschritten.»
Lange habe die Hip-Hop-Kultur wie in einer Parallelwelt neben der Gesamtgesellschaft existiert. In einer Welt, in der andere Regeln und andere Werte zu herrschen schienen, sagt er. Dass dieser Wertekonflikt irgendwann aufflammt, sei nur eine Frage der Zeit gewesen.
Gesellschaftliche Bewegungen erreichen Hip-Hop-Szene
Hip-Hop könne sich gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr entziehen, meint auch Didi. Uğur glaubt fest an einen Wandel innerhalb der Kultur – die aktuelle Debatte sei der letzte Anstoss dazu.
Er ist überzeugt, dass sich Rapper in Zukunft nicht mehr erlauben könnten, gewaltverherrlichende und frauenverachtende Texte zu schreiben. Musiklabels würden zudem vorsichtiger werden. Und durch Social Media haben Opfer von sexueller Gewalt heute eine Plattform: «Der Druck von aussen ist jetzt zu gross.»
Zwingende Veränderung
Auch Mimiks glaubt fest daran, dass die Vorfälle eine tiefgreifende Wirkung auf die deutsche Musikbranche haben werden. Er befürchtet, dass dabei allerdings auch wirtschaftliches Kalkül eine Rolle spielen wird.
Mimiks unterstreicht: «Aber: Wenn sich jetzt nichts ändert, ist Hip-Hop tot. Die Musik hat sonst bald nur noch den Gehalt von Schlager», seicht und belanglos. Gleicher Meinung ist Rapper Didi: «Wenn Hip-Hop relevant bleiben will, muss er sich verändern.»
Lautes Schweigen aus der Szene
Was auffällt: Grosse Namen aus der Szene schweigen zu den Vorfällen in Deutschland. Auch in der Schweiz. Uğur kritisiert dieses Verhalten scharf: «Ich fordere von Aushängeschildern der Szene, dass sie aufhören, opportunistisch und karriereorientiert zu denken. Das ist ekelhaft.» Jetzt sei die Zeit, um für Fehler aus der Vergangenheit gerade zu stehen.
«Es ist halt sehr unangenehm, etwas plötzlich kritisch beleuchten zu müssen, demgegenüber man so viele positive Gefühle hat», erklärt Mimiks das Schweigen der hauptsächlich männlichen Rapstars.
Schweizer Rapper sind selbstkritisch
Didi und sein Umfeld beschäftigt die aktuelle Debatte stark. Die Auseinandersetzung mit Sexismus fing bei ihm aber schon vorher an. Didi wurde sich in den letzten Jahren seiner Vorbildfunktion bewusst – als Musiker und in seiner Tätigkeit als Jugendarbeiter: «Ich möchte mich insbesondere vor jungen Männern gegen sexistische Texte positionieren.» Eigene sexistische Zeilen, die er früher geschrieben hat, ändert er heute ab.
Rapper würden sich inzwischen auch gegenseitig auf problematisches Verhalten hinweisen, sagt er. Dass sich zumindest in der Schweizer Hip-Hop Szene in den letzten Jahren einiges getan hat, bestätigt Uğur.
Auch Mimiks sagt selbstkritisch , dass er früher Lines rappte, die er heute nicht mehr sagen würde. «Ich legte in Musikvideos zum Beispiel auch eine arrogante Attitüde an den Tag, weil ich dachte, dass man das als Rapper halt so macht.» Rückblickend sei sein Verhalten eine angestrengte Anpassung an Rap-Klischees gewesen. «Der Schritt zurück zu mir selbst fühlt sich heute viel logischer an.»
Obwohl sie unangenehm sein könne, sei die Auseinandersetzung mit sich selbst ein erstrebenswerter Prozess, so Mimiks. Uğur und Mimiks sehen im Akt der Selbstreflexion eine Chance für die gesamte Rap-Kultur.
Neue Narrative, neue Motive, neue Männerbilder
Mimiks und seine Entourage fingen in den letzten Jahren bewusst an, starre Männlichkeitsbilder aufzubrechen. Das mache Spass, sei innovativ und beweise, dass Rap auch ohne Sexismus funktionieren könne.
Die Debatte sei eine Chance für neue Narrative, neue Motive und neue Symbole innerhalb des Hip-Hops. Einer Kultur, der das Emanzipatorische eigentlich zugrunde liegt, wie Uğur betont.