Der Erste Weltkrieg ist noch nicht lange vorbei, die Welt noch immer in Schockstarre. Das Fürstlich Fürstenbergische Schloss Donaueschingen hat die katastrophalen Jahre unbeschadet überstanden. Und mit ihm der Schlossherr Fürst Max Egon II.
Selbiger will seinen Untertanen etwas Gutes tun, schliesslich haben sie ihn verschont und nicht wie seinen guten Freund Kaiser Wilhelm II. ins Exil gejagt. Er berät sich mit dem Musikverein seiner Stadt, der Gesellschaft der Musikfreunde. Man kommt überein, ein kleines Musikfest zu veranstalten, gewidmet der Aufführung von Werken junger, noch unbekannter Komponisten.
Von Schönberg bis Strawinsky
Im Sommer 1921 ist es dann soweit: Die dreitägigen Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst starten im Festsaal des Schlosses, die ganze Bevölkerung ist eingeladen.
Und sie kommt gern in das kleine Schwarzwälder Städtchen, jeden Herbst aufs Neue, um der Musik zu lauschen, die bald schon Paul Hindemith aussuchen wird. Der Komponist und Konzertmeister des Frankfurter Opernorchesters ist gut vernetzt und holt die jungen Wilden nach Donaueschingen: Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg, Igor Strawinsky.
Neustart nach dem Zweiten Weltkrieg
Dann beginnen die dunklen Jahre. Die Konzerte heissen nun «Alte und neue Kammermusik aus dem schwäbisch-alemannischen Raum» und werden irrelevant. Bis nach dem Krieg ein neuer Fürst am Ruder ist: Er kontaktiert den gerade neu gegründeten Südwestfunk in Baden-Baden und dessen Musikchef Heinrich Strobel.
Der scheint nur auf eine solche Gelegenheit gewartet zu haben und ist sofort bereit, das Festival als künstlerischer Leiter neu aufzustellen. Der Südwestfunk übernimmt einen Grossteil der Finanzierung, zudem steht das radioeigene Sinfonieorchester kostenfrei zur Verfügung. Donaueschingen 2.0 beginnt.
Die neuen jungen Wilden
Die Musiktage werden weltweit zum Synonym für Neue Musik. Mit allem, was dazugehört, also Skandalen, Pfeifkonzerten und Begeisterungsstürmen. Nun stehen neue Junge Wilde am Start.
Pierre Boulez, Luigi Nono oder Karlheinz Stockhausen heizen ästhetische Debatten an, die Musiktage bilden Trends ab und setzten sie gleichzeitig: Klangfarbenkompositionen oder die Verräumlichung des Klangs, wenn das Orchester von mehreren Seiten das Publikum in die Zange nimmt.
Es folgen die gesellschaftlichen Umbrüche der 1968er-Bewegung. Es kommen der Jazz, der Film, die Improvisationen, die Klanginstallationen, die Bespielung der ganzen Stadt.
Und heute?
Und heute, nach 100 Jahren? Donaueschingen ist bei Weitem nicht mehr die einzige, aber nach wie vor die renommierteste Messe für Uraufführungen. Eine dicht gedrängte Leistungsshow, in diesem Jahr mit 27 Uraufführungen in 24 Konzerten.
Es sieht so aus, als ob sich die Donaueschinger Musiktage zunehmend von der eurozentrierten Nabelschau lösen und das Ohr auch auf andere Weltgegenden richten, in diesem Jubiläumsjahr nach Afrika oder Zentralasien. Die Frauenquote liegt, immerhin, bei etwa 40 Prozent. Ab nächstem Jahr übernimmt zum ersten Mal in der Geschichte eine Intendantin die Geschicke.
Die Donaueschinger Musiktage haben gute Chancen, auch weiterhin nicht nur interessant, sondern auch relevant zu sein und immer wieder ins Neue aufzubrechen.