Ich stamme aus einer braven Bündner CVP-Familie. Im Alter von 11 Jahren (also anno 1985) schaute ich beim Spielen einmal zufällig in den Kleiderschrank meiner Mutter und stiess dort auf einen beträchtlichen Stapel Schallplatten – John Mayall, The Beatles, Simon & Garfunkel. Augenscheinlich nichts Wildes.
Doch ganz zuunterst, da lag eine Platte, deren Cover mir einen Schauder über den Rücken jagte. Eine schwarz gekleidete Frau mit langen schwarzen Haaren war darauf zu sehen – eine Hexe, das war mir sofort klar. Die Platte liess sich aufklappen: Die Darstellung eines umgedrehten Kreuzes sprang mir entgegen und die Wörter «Black Sabbath».
Die Frau auf dem Cover wies übrigens eine frappante Ähnlichkeit mit meiner Mutter auf.
Es war ein Schock für mich. Ich liess die Platte dann heimlich laufen, als meine Eltern ausser Hauses waren, auf dem Plattenspieler meiner Mutter. Regen setzte ein, Kirchenglocken läuteten, und dann folgten DIESE drei Töne. Immer wieder. Sie kamen direkt aus der Hölle. Ich fühlte in mir ein Feuer aufflammen – ein Feuer, das mein gesamtes bisheriges Weltbild in Schutt und Asche legte. Ha ha! Klingt ganz schön pathetisch! Aber für mich als 11-Jährigen war es tatsächlich ein Moment von noch nie erlebter Heftigkeit.
Diese drei E-Gitarrentöne (G – oktaviertes G auf der D-Saite – Tritonus Db), das erste Riff der Metalgeschichte, gilt doch das 1970 erschienene, selbstbetitelte Debüt der Engländer Black Sabbath um Gitarrist Tony Iommi und Sänger Ozzy Osbourne als Geburtsstunde des Heavy Metal.
Wobei man – um präzis zu sein – sagen muss: Black Sabbath wird heutzutage der Spielart «Doom Metal» zugeordnet (langsam, schwer, unheilschwanger).
Youtube-Video mit Tony Iommi von Black Sabbath
Höhlenmenschen, die ersten Metaller
Und: Natürlich beginnt die Geschichte des Heavy Metal nicht vor 50, sondern vor einer Million Jahren. Bei den Höhlenmenschen. Mit dem ersten Knüppel, der auf ein Drumset aus Mammutschädeln geschlagen wurde. Dazu loderten die Flammen in den Nachthimmel.
Wild wurde getanzt, Mähnen geschüttelt, geheadbangt. Man schmierte sich Tierblut ins Gesicht. Stopfte sich voll mit halluzinogenen Pilzen. Riss sich die Fellbekleidung vom Leib und – in Graubünden haben wir einen speziellen Ausdruck dafür: «Tua wia d Schwii» – Man tat also wie die Schweine.
Nach den Höhlenmenschen kam dann ziemlich bald mal Richard Wagner mit seiner «Rienzi»-Ouvertüre. Die letzten Minuten: Wie das scheppert und schmettert und kracht! Das ist Metal!
Youtube-Hörbeispiel von Richard Wagners «Rienzi»-Ouvertüre
Und dann kam King Diamond aus Dänemark. Er hat mein Leben für immer verändert.
Von ihm stammt die erste Metal-Platte, die ich mir 1988 als 14-Jähriger selbst gekauft habe: «Them», ein Konzeptalbum, in dem es um eine verrückte Grossmutter geht, die aus einer Irrenanstalt in ihr altes Haus zurückkehrt und mit ihrem Enkel Teepartys veranstaltet, bei denen menschliches Blut getrunken wird – zusammen mit «Them», also unsichtbaren Dämonen, die im Haus ihr Unwesen treiben.
Mein Gott, diese Platte hat mir das Mark in den Knochen gefrieren lassen. Ich hatte solche Angst, als ich sie mir anhörte, immer und immer wieder, heimlich in meinem Kinderzimmer in Chur.
Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass «sie» auch mit mir im Zimmer waren, angelockt durch die übermenschlich hohen Schreie von King Diamond.
Initiation im Churer Plattenladen
1988 war sowieso ein fantastisches Jahr für den Heavy Metal – meiner Meinung nach das beste aller Zeiten. «Seventh Son of a Seventh Son» von Iron Maiden kam dann heraus, «Transcendence» von Crimson Glory, «Kings of Metal» von Manowar.
Diese Platten – respektive Musikkassettli – hatte ich mir alle im sagenumwobenen, unterirdischen Plattenladen Tolgga in Chur gekauft – nur die Allermutigsten trauten sich dort hinein (meine Eltern wussten natürlich nichts davon). Den Tolgga zu betreten war die wichtigste Initiation in meinem Leben. Ich war nun Teil der Metal-Gemeinde. O brave new world!
Mein Bestreben, mich als Metaller zu etablieren, verlief übrigens nicht ohne Probleme. Natürlich wollte ich mir die Haare wachsen lassen, aber komischerweise wuchsen sie nur vorne und nicht hinten, sodass ich eines Tages einfach nichts mehr sah. Aber immerhin war ich der erste in Chur, der mit einem Guns N' Roses-Aufnäher herumlief.
Was war das nun aber genau für eine «brave new world»? War sie bevölkert von tumben Hirntoten? Drogenabhängigen Nichtsnutzen? Rechtsradikalen Schlägern? Sonstigen Witzfiguren? Mitnichten.
Aufräumen mit den Klischees
Die Metalheads, die ich nach und nach kennenlernte – unter anderem in der legendären Konzertfabrik Z7 in Pratteln, dem Metal-Mekka der Schweiz – waren das exakte Gegenteil davon.
Tatsächlich sind einige der gescheitesten Leute, die ich kenne, Metalfans. Unter anderem meine Frau. Oder Ronny, Solothurner Staatsanwalt. Werner, Ex-Starbanker (genannt «Bänker of Steel»). Auffällig viele Naturwissenschaftler (warum bloss?), darunter ein Chemieprofessor.
Allen gemeinsam: ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Ironie. Und teilweise ihr, nun ja, Nerdtum. Heisst: seltsames Interesse für Drachen, Hobbits, Terry Pratchett, Wikinger, solches Zeug halt. Man möge es ihnen gönnen.
Bodyshaming? Gibt es in der Metal-Community nicht. Dort kann jeder haargenau so rumlaufen, wie er will, ohne blöd angemacht zu werden.
Frauenfeindlichkeit? Habe ich noch nie erlebt. Im Gegenteil – Frauen werden oftmals zu quasi-heiligen Wesen hochstilisiert – mit Vorliebe vom oben erwähnten Nerd-Typus. Und bei primitiven Anmachen ritterlich beschützt.
Homophobie? Es ist halt wie im Fussball, wo Männlichkeit (über-)zelebriert wird, oder im Schwingsport, wo sich kürzlich der erste Schwinger geoutet hat. Im Grossen und Ganzen – das zeigen auch entsprechende Umfragen – ist das Thema den Metalheads schlicht egal.
In diesem Zusammenhang fallen stets die Namen von zwei prominenten Musikern, die sich öffentlich geoutet haben: Rob Halford, Sänger von Judas Priest, und Gaahl, Black-Metal-Sänger aus Norwegen. Letzterer, so lässt sich in einem Interview nachlesen, habe keine negativen Rückmeldungen aus der Black-Metal-Szene erhalten.
Rassismus? Die meisten Metaller, mit denen ich mich unterhalte, denken politisch differenziert und positionieren sich häufig dezidiert links. Gerade die führenden Heavy-Metal-Magazine im deutschsprachigen Raum («Rock Hard», «Metal Hammer», «Deaf Forever») achten penibelst darauf, rechtem Gedankengut kein Forum zu bieten.
Die toughen Musiker sind privat ganz nett
Und die Musiker, die ich im Laufe der Jahre persönlich treffen durfte? Da ist allen voran natürlich Supersatanist King Diamond, der mir backstage im Z7 mit einer Engelsgeduld alle seine Platten signierte, die ich mitgeschleppt hatte, obwohl er schon seit zehn Minuten raus auf die Bühne gemusst hätte.
Natürlich war er schwarz-weiss geschminkt und trug seinen schwarzen Zylinder, der mindestens so gross war wie er selbst.
Die Black-Metaller Dimmu Borgir aus Norwegen, die ebenfalls backstage im Z7 wie Schuljungen in die riesige Waschmaschine glotzten, in der sie endlich wieder einmal ihre Socken waschen konnten.
Die Walliser Electronic/Industrial/Black-Metal-Band Samael, mit der ich für eine Reportage ein paar Tage im Tourbus durch den Osten Deutschlands fahren durfte: Dermassen freundliche Menschen habe ich überhaupt noch nie getroffen. Und dabei so bescheiden! Und immer am existenziellen Grübeln.
Metal ist und bleibt unbändigbar
Aber natürlich darf man nicht naiv sein: In der Metalszene tummeln sich auch die übelsten Gestalten, wie überall halt. Stichwort: die gezielten Kirchen-Abfackelungen in Norwegen in den 1990er-Jahren. Oder der heimtückische Mord von Varg «Count Grishnackh» Vikernes an Øystein «Euronymous» Aarseth.
Ich glaube schon, dass Heavy Metal das Negative im Menschen auf unkontrollierbare Art potenzieren kann. Metal ist laut und mächtig und unbändigbar, wie die schon erwähnte Flamme, die ich als 11-Jähriger in mir auflodern spürte.
In diesem Unbändigbaren liegt ja genau der Reiz. Metal macht aus einem Menschen mehr als ein Mensch. Es geht um Überhöhung. Um Gigantisches. Um die reine Power.
Man will den Urschrei vor einer Million Jahren übertreffen. Will das Universum letztlich zum Einsturz bringen. Aber zuvor noch ein Bier, bitte. Natürlich muss Metal gefährlich sein! Sonst würde man sich ja irgendwelche Triangel-Konzerte anhören.
Übrigens hören auch Pflanzen gerne Heavy Metal, wie eine englische Studie zeigt . Lilien sollen dank den Klängen von Black Sabbath besonders schön gesprossen und zudem äusserst resistent gegen Krankheiten geworden sein.
Heavy Metal ist facettenreich
Die unfassbare Menge an verschiedenen Spielarten von Heavy Metal macht es einem interessierten Neuling vielleicht schwer, einen Einstieg zu finden.
Wo liegt der Unterschied zwischen Ambient Experimental Doom Metal, Technical Blackened Death Metal und Pure Depressive Teutonic Funeral Drone Metal? Völlig egal!
Hier ein paar persönliche Tipps von mir, die jeden und jede von der unglaublichen Kraft des Heavy Metal überzeugen werden. Die im obigen Text bereits erwähnten Scheiben seien natürlich ebenfalls wärmstens empfohlen!