Streaming-Konzerte und Veranstaltungen in abgespeckter Form statt Glamour, roter Teppich und Abendrobe: Viele Klassik-Musik-Festivals in diesem Sommer wurden reduziert, abgesagt oder verschoben. Dieses Jahr stehen für einmal nicht Luzern, Verbier, Gstaad, Bregenz oder Salzburg im Scheinwerferlicht, sondern die kleinen Festivals.
Das «Festival du Lied» im 2000-Seelen-Dorf Charmey nutzt die Chance und lädt sogar Weltstars ein – selbstverständlich unter Einhaltung aller Corona-Schutzverordnungen.
Parkplatz statt Opern-Loge
Eigentlich hätte es das «Festival du Lied» 2020 gar nicht gegeben. Es findet nur alle zwei Jahre statt, im Wechsel mit dem «Internationalen Festival für geistliche Musik».
Als das Chorfestival aber abgesagt wurde, rief die Mezzosopranistin und Festivalleiterin Marie-Claude Chappuis befreundete Musikerinnen und Künstler an und stellte spontan eine etwas andere Form des «Festival du Lied» auf die Beine.
Seit dem 25. Juli veranstaltet sie im idyllischen Charmey im Greyerzerland in traumhafter Kulisse auf dem grossen Parkplatz der Bergbahn ein Klassik-Drive-In Festival.
Die Besucher kommen mit dem Auto, Platz gibt es für etwa 150 Fahrzeuge, vier Leute dürfen jeweils drinsitzen. Wer lieber einen Sitz- statt Parkplatz möchte, meldet das bei der Ticketkasse an, denn es gibt auch einen kleinen bestuhlten Bereich vor der Bühne.
Autofenster runter und Musik geniessen
Während sich auf der Bühne die Musikerinnen einspielen, fahren gegen neun Uhr die Autos vor, werden ausgemessen, eingewiesen und im Halbkreis angeordnet, wie ein Orchester – nach Grösse. Mit meinem Hochdachkombi, stolze 1.75 Meter hoch, bekomme ich am Eröffnungskonzert am Samstag einen Platz in einer der hinteren Reihen.
Doch von Sichtbehinderung keine Spur! Die Autos stehen versetzt, mit genügend Abstand dazwischen. Das Geschehen auf der Bühne wird zusätzlich auf eine grosse LED-Leinwand übertragen.
Da werden noch schnell die Frontscheiben geputzt, dann erklingen schon die ersten Töne – verstärkt über Lautsprecher. Das heisst: Autofenster runterkurbeln! Dass nur bei Regen auf das Autoradio und eine FM-Frequenz ausgewichen wird, ist sicher ein Gewinn für den Gesamtklang.
Hupen ist das neue Klatschen
Der Blockflötist Maurice Steger eröffnet das Festival mit einer handverlesenen Schar Barockspezialisten. Mit Stücken, die für englische Garten-Partys geschrieben wurden, Masken-Tänzen und Natur-Fantasien.
Dass sich einzelne der historischen Instrumente mit Darmsaiten aufgrund der Wetterverhältnisse dieser lauen Sommernacht verstimmen, stört für einmal niemanden.
Das Publikum klatscht begeistert, es wird gehupt und mit den Autoscheinwerfern aufgeblendet. Das Autokonzert ist optisch wie akustisch ein echtes Spektakel und für die meisten Besucherinnen eine ganz neue Erfahrung.
«Dieser Event war völlig anders als in einem Konzertsaal: sehr spontan und überraschend. Das Hup- und Lichterkonzert war magisch», sagte eine Besucherin. Wer also wie ich skeptisch war zu Beginn und glaubte, durch die Autos und Frontscheiben entstünde eine Art Wand zwischen Musiker und Publikum, hat sich gründlich getäuscht.