Das temperierte Tonsystem findet er viel zu grob. Er will hinein in die mikrotonalen Feinheiten und erfindet ein eigenes Tonsystem mit 43 statt zwölf Tönen pro Oktave, baut die entsprechenden Instrumente dazu und komponiert dann für diese Privatmusikwelt.
Und es ist wahrlich eine seltsame private Musikwelt, die er da erfindet. Verrückte Namen gibt er seinen Instrumenten. Diamond Marimba, Harmonic Canon, Blue Rainbow, Ptolemy, Mazda Marimba, Cloud-Chamber Bowls, Spoils of War, Castor and Pollux, Drone Devils. Es sind Instrumente, auf denen man mikrotonal spielen kann, also viel kleinere Intervalle als die üblichen Halbtöne.
Zwölf Töne hat die Oktave
Aber nicht bei Harry Partch. Als viel zu stumpf empfindet er die üblichen zwölf Töne einer Oktave, um die feinsten Schwebungen und die Lebendigkeit der gesprochenen Sprache musikalisch einzufangen. So um 1930, als End-Zwanziger, verbrennt er alles, was er bisher kompositorisch versucht hat und startet neu.
Adapted viola
Er nimmt sich eine Bratsche, sägt ihr Griffbrett ab und ersetzt es durch das viel längere Griffbrett eines Cellos und nennt das Instrument «adapted viola».
Auf das Griffbrett klebt er Hunderte kleiner bunter Metallnoppen, um all die minimal unterschiedlichen Töne greifen zu können: Viertel-, Sechstel, Zwölfteltöne.
Die zunächst mal alle nur schrecklich verstimmt klingen. Hat man sich aber eingehört und eingespielt, lassen sich Melodien machen, die wie Sprachmelodien klingen.
Hobo
Es stösst auf Interesse, was Harry Partch tut. Von der Carnegie Corporation bekommt er ein Stipendium und geht nach London, um altgriechische Tonsysteme zu studieren. Nach Ablauf des Stipendiums kehrt er 1935 zurück und es erwischt ihn die «Great Depression».
Er muss sich irgendwie durchschlagen und wird «Hobo» (von «hoe», Ferse, und «boy»). Die Hobos sind Wanderarbeiter ohne festen Wohnsitz, die als blinde Passagiere auf den Güterzügen quer durch Amerika reisen, von einer Gelegenheitsarbeit zur nächsten.
Jack London war so einer. Harry Partch auch. Ein Mann, der nicht nur mit dem traditionellen Musikleben, sondern auch mit der Gesellschaft bricht. Auf den langen Zugreisen entwickelt und verfeinert er sein eigenes Tonsystem, zeichnet Gespräche mit Hobofreunden auf, vertont Briefe oder «Hitchhiker Graffitis», die Tramper an den Bahnhöfen hinterlassen haben.
Ein ganzer Instrumentenpark entsteht
Nach der Talsohle der «great depression» erfindet und erbaut er auf einer Farm in Kalifornien seinen privaten Instrumentenpark – unter grosszügiger Einbeziehung der Redwoodbäume, die dort wachsen.
Und das Schicksal scheint ihm trotz seiner Abkehr von der Gesellschaft wohl gesonnen zu sein: Universitäten geben ihm immer wieder Möglichkeiten, seine Projekte zu realisieren.
Er darf unterrichten und seine Musik aufführen. Kaum gesellschaftskompatibel, macht er sich über die Arbeit all seiner Komponistenkollegen lustig, aber er wird geduldet. Und er geht immer weiter auf einem eigenen, kompromisslosen Weg als musikalischer Aussenseiter mit den selbstgebauten Instrumenten.
Und was rät er den Musikern? «Macht euch das Konzept zu eigen, selbst wenn ihr es nicht versteht, denkt nach, macht Yoga-Übungen und träumt euch in die Arme von dunklen Liebenden in Ruderbooten auf dem Shalimar…»